Verunsichert von der Corona-Pandemie haben sich dieses Jahr kaum Unternehmen an die Börse gewagt. Lediglich fünf Firmen legten im streng regulierten Prime Standard einen Börsengang hin, zeigt eine Studie der Hamburger Beratungsfirma Kirchhoff Consult.
Das waren zwar zwei mehr als im Vorjahr. Doch der gesamte Wert der ausgegebenen Aktien fiel um fast 75 Prozent zum schon schwachen Vorjahr auf rund 0,9 Milliarden Euro – das sei ein Tief seit der globalen Finanzkrise 2009. Börsengänge im Volumen von über einer Milliarde Euro blieben im Corona-Jahr aus.
Die Angst vor der Seuche, Shutdowns und wirtschaftliche Einbrüche führten zu immensen Schwankungen an den Finanzmärkten – Gift für Börsengänge. So stürzte etwa der Dax im Frühjahr um rund 40 Prozent ab, bevor er sich mit großzügigen Staatshilfen und der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken rasant erholte. Auch die Präsidentschaftswahl in den USA sorgte für Kursschwankungen.
«2020 war ein unberechenbares Jahr für Börsengänge», sagte Klaus Rainer Kirchhoff, Vorstandschef von Kirchhoff Consult. Unternehmen sagten ihre Pläne ab oder verschoben den Gang aufs Parkett – darunter der Energiekonzern Wintershall Dea. Auch international gab es Turbulenzen: So wurde der als Rekord gehandelte Börsengang des chinesischen Finanzriesen Ant Group kurzfristig abgeblasen.
Zu den wenigen Börsengängen in Deutschland 2020 zählte der des Rüstungskonzerns Hensoldt mit einem Emissionsvolumen von fast 403 Millionen Euro. In Knaus Tabbert (Wohnmobile), PharmaSGP Holding (Pharma) und Compleo Charging Solutions (Ladesäulen) gingen drei Unternehmen an die Börse, deren Branchen trotz Corona-Krise wuchsen. Hinzu kam eine Privatplatzierung der Technologieholding Brockhaus Capital Management. Die Abspaltung von Siemens Energy vom Münchner Dax-Konzern wurde in der Studie nicht berücksichtigt. Dabei wurden Siemens-Aktionären Papiere von Siemens Energy automatisch ins Depot gebucht.
Der Prime Standard der Deutschen Börse ist das Segment mit den höchsten Transparenzpflichten für Unternehmen. Zudem gaben zwei Firmen im Segment Scale für Start-ups ihr Debüt: Der Handtaschen-Onlinehändler Fashionette und die Softwarefirma Exasol.
Für das kommende Jahr ist Kirchhoff zuversichtlicher. Sofern sich die Hoffnung auf wirksame Corona-Impfstoffe erfülle und die Pandemie beherrschbarer werde, könnten einige Unternehmen aufs Börsenparkett drängen. «Viele attraktive Unternehmen sind bereit für die Börse», sagte Vorstand Jens Hecht. Man rechne mit 12 bis 15 Neuemissionen. Zu den Kandidaten, die einen Börsenwert in Milliardenhöhe erreichen könnten, zählt Kirchhoff den Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea, den Softwareentwickler Suse, den Wissenschaftsverlag Springer Natur und den Online-Modehändler About You.
Börsengänge spielen in Deutschland seit Jahren kaum eine Rolle. Viele Unternehmen scheuen den Kapitalmarkt und finanzieren sich traditionell lieber über Kredite ihrer Hausbanken oder geben Anleihen heraus. Im vergangenen Jahr gab es in dem Softwareunternehmen Teamviewer und der Volkswagen-Lkw-Tochter Traton immerhin zwei Milliarden-Börsengänge – sonst herrschte weitgehend Flaute.