Die Corona-Krise, das Debakel um den Absturzjet 737 Max und neue Verzögerungen beim Großraumjet 777X haben dem US-Flugzeugbauer Boeing 2020 einen Rekordverlust eingebrockt.
Unter dem Strich stand ein Minus von mehr als 11,9 Milliarden US-Dollar (9,8 Mrd Euro), wie der Airbus-Rivale am Mittwoch in Chicago mitteilte. Es ist der mit Abstand höchste Verlust, den Boeing in seiner mehr als 100-jährigen Konzerngeschichte bislang verschmerzen musste. 2019 hatte es bereits ein Minus von 636 Millionen Dollar gegeben.
Gute Nachrichten gab es aber auch: Boeings Krisenjet 737 Max darf nach fast zwei Jahren Flugverbot auch in Europa wieder abheben. Nachdem die US-Luftfahrtbehörde FAA im November grünes Licht gegeben hatte, folgte am Mittwoch auch die Zulassung der europäischen Aufsicht EASA. «Wir haben entschieden, dass die 737 Max sicher in den Dienst zurückkehren kann», erklärte EASA-Chef Patrick Ky. Das Modell war im März 2019 nach zwei Abstürzen mit 346 Toten aus dem Verkehr gezogen worden. Als Hauptursache galt ein fehlerhaftes Steuerungsprogramm.
Voraussetzung für den Neustart in Europa sind technische Verbesserungen an Hard- und Software sowie zusätzliches Training für die Piloten. Nach Ansicht der EASA erfüllen die geplanten Verbesserungen die Anforderungen an die Flugsicherheit. Die Behörde kündigte gleichzeitig an, den Betrieb der Maschinen eng zu überwachen. Boeing habe die weitere Zusammenarbeit zugesichert, um noch höhere Sicherheitslevel zu erreichen. Auch die britische Luftfahrtbehörde (UK Civil Aviation Authority) hob den Bann für die 737 Max am Mittwoch wieder auf. Derweil lieferte der US-Konzern im Geschäftsbericht schon wieder neue Hiobsbotschaften.
Allein wegen der 777X legte Boeing zum Jahresende 6,5 Milliarden Dollar zurück. Unterm Strich verlor der Konzern allein in den drei Monaten bis Ende Dezember 8,4 Milliarden Dollar, vor einem Jahr hatte die Quartalsbilanz mit gut einer Milliarde im negativen Bereich gelegen. Verschmerzen musste der Hersteller auch noch Kosten für einen Vergleich mit dem US-Justizministerium wegen Betrugsvorwürfen beim 737-Max-Skandal. Boeings Umsatz fiel 2020 um 24 Prozent auf 58,2 Milliarden Dollar – der schwächste Wert seit rund 15 Jahren. Die Erlöse litten zusätzlich unter Problemen beim Langstreckenjet 787 «Dreamliner», dessen Auslieferung wegen Produktionsmängeln stockte.
Die Zahlen reflektierten die starken Belastungen für die Luftfahrt durch die Corona-Pandemie und das lange Flugverbot für den Unglücksflieger 737 Max, erklärte Boeing-Chef Dave Calhoun in einem Memo an die Mitarbeiter. Der Konzern habe jedoch wichtige Fortschritte dabei gemacht, die Sicherheitsprozesse zu verstärken, Vertrauen zurückzugewinnen und die Weichen für eine geschäftliche Erholung zu stellen. Bei Anlegern kamen die Zahlen indes nicht gut an, die Aktie reagierte mit deutlichen Kursabschlägen.
Besonders die neuen Probleme und immensen Kosten beim modernisierten Großraumjet 777X dürften am Markt für schlechte Stimmung gesorgt haben. So soll das erste Exemplar nun sogar erst Ende 2023 ausgeliefert werden. Boeing hatte die Neuauflage der 777, die dank neuer Triebwerke und verbesserter Aerodynamik deutlich weniger Kerosin verbrauchen soll, zuvor bereits mehrfach verschoben – zuletzt auf 2022. Als Gründe für die erneute Verzögerung nannte der Konzern unter anderem veränderte Voraussetzungen für die Zulassung des Jets und die veränderte Nachfrage infolge der Corona-Krise.
Dass die 737 Max während der Startverbote nicht an die Kundschaft gebracht werden konnte, hat Boeing in den vergangenen beiden Jahren massiv belastet – bereits 2019 überholte Airbus den US-Konkurrenten als weltgrößter Flugzeugbauer. Nun darf der Problemflieger zwar wieder abheben, doch die Corona-Pandemie hat die Luftfahrtbranche in eine ihrer tiefsten Krisen gebracht. Das kostet Boeing viele Aufträge – nach Angaben des Unternehmens gab es 2020 unterm Strich gut 650 Stornierungen. Insgesamt wurden sogar mehr als 1000 Bestellungen aus dem Orderbuch gestrichen, weil viele Aufträge als unsicher gelten.
Nach zwei rabenschwarzen Jahren könnte Boeing aber das Schlimmste hinter sich gebracht haben. Die Impfstoffe gegen das Coronavirus geben auch der Luftfahrt Hoffnung und trotz der vielen Stornierungen muss sich Boeing angesichts des Luftfahrt-Duopols, durch das Kunden so gut wie keine Alternativen außer dem auf Jahre ausgebuchten Rivalen Airbus haben, keine ernsthaften Sorgen um mangelnde Bestellungen machen. Zuletzt gab es auch schon wieder mehr neue Aufträge und seit die 737 Max – Boeings meistverkauftes Modell und wichtigster Gewinnbringer – in den USA wieder abheben darf, wurden laut Angaben des Konzerns bereits mehr als 40 Stück ausgeliefert.