Nach 14 Jahren Wachstum ist im Corona-Jahr 2020 die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland erstmals wieder zurückgegangen.
44,8 Millionen Menschen hatten im Jahresschnitt im Inland einen Arbeitsplatz oder waren selbstständig, wie das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mitteilte. Das waren 477.000 Personen (1,1 Prozent) weniger als 2019 und auch 0,2 Prozent weniger als 2018. Die Zahl der Erwerbslosen kletterte in der Jahresfrist deutlich um 34,5 Prozent auf 1,85 Millionen.
Noch deutlicher als in den Vorjahren ging die Zahl der Selbstständigen und ihrer mithelfenden Angehörigen auf nun 4,0 Millionen zurück. Der Statistik zufolge gingen insbesondere schlecht gesicherte Jobs verloren, während die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten häufig in Kurzarbeit geschickt wurden. Nach der jüngsten Schätzung des Ifo-Instituts bezogen im Dezember 1,95 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld nach 1,98 Millionen im Monat zuvor. Vor allem in der Industrie ging der Anteil zurück, während in den von der Pandemie besonders getroffenen Branchen Gastronomie und Einzelhandel die Zahlen kräftig anstiegen.
Bei den Dienstleistungen sank die Zahl der Beschäftigten besonders stark im Bereich Handel, Verkehr und Gastgewerbe um 2,0 Prozent sowie bei industrienahen Dienstleistern (-2,5 Prozent) einschließlich der Leiharbeit. Zusätzliche Jobs gab es hingegen im Öffentlichen Dienst, bei Erziehung und Gesundheit. In der Industrie sank die Zahl der Erwerbstätigen in der Krise um 2,3 Prozent auf rund 8,2 Millionen. Lichtblick war hier das Baugewerbe mit einem Anstieg um 0,7 Prozent.
Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg hält die Entwicklung der Erwerbstätigkeit nicht für überraschend. «Das ist die Folge des Lockdowns im Frühjahr», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Konjunktur habe sich halbwegs erholt, die Erwerbstätigkeit sei im Keller geblieben. Das liege nicht so sehr an Entlassungen, sondern mehr an dem Verzicht von Unternehmen, neues Personal einzustellen.
Deshalb müsse jetzt schnell die Neueinstellung von Arbeitskräften staatlich gefördert werden. Weber schlägt dafür vor, den Unternehmen für neu geschaffene Jobs die Zahlung von Sozialbeiträgen zu erlassen und diese stattdessen über den Staat an die Sozialkassen weiterzuleiten. «Es braucht einfache Lösungen, weil die Erfahrung zeigt, dass komplexe Dinge weniger gut angenommen werden», sagte Weber. Wichtig sei, dass schnell gehandelt werde, weil sonst Langzeitschäden am Arbeitsmarkt entstehen könnten, vor allem für junge Leute, die auf dem Arbeitsmarkt nicht richtig Fuß fassen. «Das ist eine zeitkritische Sache», sagte Weber.
In den 14 Jahren zuvor war die Zahl der Beschäftigten kontinuierlich gestiegen, wobei Zuwanderung und eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Inländer die demografischen Effekte einer alternden Gesellschaft mehr als ausgeglichen hatten. Zuwanderung war unter Corona-Bedingungen aber erschwert und das inländische Arbeitskräftepotenzial gilt als zunehmend ausgeschöpft.
Langfristig rechnen die Statistiker eher mit einem Mangel an Arbeitskräften in Deutschland. Wichtigster Grund ist das langsame Ausscheiden der Baby-Boomer-Jahrgänge 1955 bis 1970 aus dem Arbeitsmarkt. Auf einer etwas anderen statistischen Grundlage nennen sie eine Spannweite zwischen 41,4 und 33,3 Millionen Erwerbspersonen im Jahr 2060 im Vergleich zu 43,6 Millionen im Jahr 2019.
Nur eine hohe jährliche Zuwanderung von mehr als 300.000 Menschen sowie eine weiter steigende Erwerbsbeteiligung insbesondere der Frauen könnten verhindern, dass die Zahlen drastisch sinken, geht aus der im November veröffentlichten «Erwerbspersonenvorausberechnung 2020» hervor. Auch müssten sich ältere Bürger zwischen 65 und 74 Jahren stärker als bislang am Arbeitsleben beteiligen.