Nach einer Stunde endet die Geduld des Vorsitzenden Richters – und er unterbricht den Vortrag von Tayfun Y. Der 31-jährige gebürtige Gelsenkirchener ist des millionenschweren Subventionsbetrugs mit Corona-Soforthilfen in sechs Bundesländern angeklagt.
Am Montag steht er deswegen vor dem Landgericht München I, wo Y. mit immer wieder stockender Stimme seine ausführliche, kompliziert formulierte Stellungnahme voller Vorwürfe an die Justiz vorträgt.
«Ich kann sie jetzt einfach reden lassen und dann fragen, was das mit der Sache zu tun hat», erklärt der Vorsitzende dem Angeklagten, warum er ihn unterbricht. Y. hat sich bis dahin vor allem an der Zuständigkeit des Gerichts, den Umständen seiner Festnahme und seiner Überstellung nach Bayern abgearbeitet. Der Richter aber will wissen, ob Y. die ihm vorgeworfenen Taten einräumt oder nicht.
In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hessen, Baden-Württemberg und dem Saarland soll Y. im März und April 2020 unter Verwendung von Scheinidentitäten unberechtigt 91 Anträge gestellt haben. Insgesamt geht es um mehr als 2,5 Millionen Euro. Knapp 68.000 Euro davon sollen ausbezahlt worden sein, der Rest wurde gestoppt.
Dazu sagt Y. am Montag wenig Konkretes. Er stellt lediglich in den Raum, dass es ja möglich wäre, dass er nur Unternehmern mit Migrationshintergrund gegen Gebühr bei der Beantragung der Hilfen haben helfen wollen. Ob er die Anträge gestellt habe, will er aber nicht sagen.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Y. die Anträge gestellt hat und das Geld von seinem privaten Konto aus über eine Kryptowährungsbörse ins Ausland bringen wollte. Mit gut 36.000 Euro soll dies auch geschehen sein.
Schwerpunkt der Y. vorgeworfenen Anträge war Bayern mit 23 Fällen und einer Summe von gut 1,1 Millionen Euro. Auch in Nordrhein-Westfalen sowie Berlin soll der 31-Jährige besonders aktiv gewesen sein.
Bundesweit dürften noch zahlreiche ähnliche Prozesse die Gerichte beschäftigen. «Kriminelle nutzten die aktuelle Notlage aus, um sich finanziell zu bereichern», heißt es beim Bundeskriminalamt. Der Deutsche Richterbund (DRB) spricht von deutlich mehr als 20.000 Fällen mit Pandemie-Bezug. «Es dürfte bis weit in das laufende Jahr hinein dauern, ehe die Justiz alle Corona-Strafverfahren abgearbeitet hat», sagt DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.
Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums betont allerdings, dass Betrug mit Corona-Hilfen inzwischen deutlich schwieriger sei als zu Beginn der Pandemie. Die Überbrückungshilfe, die sich an die Soforthilfe aus dem Frühjahr anschloss, habe schon ein «prüfender Dritter» wie etwa ein Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beantragen müssen. Dies vermeide Missbrauch.
Alleine in Bayern haben die Staatsanwaltschaften laut Justizministerium mindestens 844 Ermittlungs- und Vorermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Anträgen auf Corona-Soforthilfen von Bund und Freistaat eingeleitet. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sieht die bayerische Justiz dabei «sehr wachsam und gut aufgestellt».
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) betont, dass sich die Missbrauchs- und Betrugsverdachtsfälle in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern in Grenzen hielten. «Der bayerische Weg, Anträge zu prüfen, anstatt sie im Eiltempo durchzuwinken, hat Betrügern das Handwerk erschwert», sagt er.
Für Y. enden die Vorwürfe allerdings nicht mit dem mutmaßlichen Subventionsbetrug. Noch aus der Untersuchungshaft soll er im Sommer versucht haben, Mahnbescheide gegen seinen damaligen Pflichtverteidiger, den damals zuständigen Staatsanwalt und mehrere andere Personen zu erwirken. Dabei ging es um Summen zwischen 250.000 Euro und 1,7 Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm daher auch noch versuchten Computerbetrug vor. Das Stellen der Anträge räumte Y. am Montag ein.