Thyssenkrupp hat den Abschied vom Stahl abgeblasen – zumindest vorerst. Nach dem Ende der Gespräche über einen Verkauf der Stahlsparte an den Konkurrenten Liberty Steel will der Essener Industriekonzern seinen Traditionskern jetzt im Alleingang sanieren.
Thyssenkrupp und Liberty waren sich nicht über den Kaufpreis für das riesige Stahlwerk in Duisburg und die anderen Standorte einig geworden. Deshalb hatten die Essener die Gespräche am Mittwochabend abgebrochen.
Die IG Metall begrüßte die Verkaufsabsage. «Es ist gut, dass in Sachen Liberty Steel Klarheit herrscht», sagte der NRW-Bezirksleiter der Gewerkschaft, Knut Giesler. Für die noch rund 24.000 Mitarbeiter der Nummer zwei auf dem europäischen Stahlmarkt dürfte das nicht nur eine gute Nachricht sein. Denn Thyssenkrupp-Finanzvorstand Klaus Keysberg forderte in einem Informationsschreiben an die Stahlarbeiter: «Die Kosten beim Stahl müssen runter – und zwar signifikant.»
Bisher hat das Unternehmen mit den Arbeitnehmervertretern den sozialverträglichen Abbau von 3000 Stellen vereinbart. Dass es nicht dabei bleiben könne, machen die Thyssenkrupp-Manager seit Tagen deutlich. «Wir stehen vor Riesenherausforderungen, die uns allen viel abverlangen werden», betonte Keysberg. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, Tekin Nasikkol, warnte davor, an der vereinbarten Beschäftigungssicherung zu rütteln. Wer das tue, «der überschreitet unsere rote Linie».
Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, Umsatzeinbrüche durch Corona – und ein immens teurer Umbau der Produktion für den Klimaschutz: Thyssenkrupp steht wie die gesamte europäische Stahlindustrie erheblich unter Druck. Deshalb verhandeln die Unternehmen seit langem und immer wieder über Fusionen und Kooperationen.
Vor zwei Jahren hatte die EU mit aus Sicht von Thyssenkrupp zu hohen Auflagen die bereits vereinbarte Fusion der Essener mit dem Konkurrenten Tata Steel gestoppt. Vor wenigen Wochen platzen die Gespräche zwischen dem schwedischen Stahlkonzern SSAB und Tata über den Verkauf des Tata-Werks in den Niederlanden. Nachdem Liberty nicht im Ruhrgebiet zum Zuge kommen soll, könnte das Gesprächskarussell im europäischen Stahl neuen Schwung aufnehmen.
Liberty-Steel-Vorstandschef Sanjev Gupta kritisierte die Absage aus Essen. Es sei unverständlich für ihn, «den Deal ohne ernsthafte Verhandlungen abzublasen», sagte der britisch-indische Unternehmer dem «Handelsblatt». Das vorgelegte Konzept sei «besser als alles andere», was für Thyssenkrupp auf dem Tisch liege. Liberty sei bereit, eine Bewertungslücke zu schließen. Thyssenkrupp zeigte sich unbeeindruckt: «Wir stehen hinter unserer Entscheidung», ließ Personalvorstand Oliver Burghard über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen.
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hat mit der Absage an Liberty nach dem Verkauf des Aufzugsgeschäfts für mehr als 17 Milliarden Euro das zweite Ausrufezeichen beim Konzernumbau gesetzt. Zur Hilfe dürfte ihr dabei die wieder anziehende Stahlkonjunktur gekommen sein. Thyssenkrupp hatte beim Start ins laufende Geschäftsjahr wieder schwarze Zahlen geschrieben. Stahlverarbeiter klagen bereits über ausbleibende Lieferungen und «Extrempreise».
Nach der Absage an den Verkauf verfolgt Merz jetzt zwei Optionen. Entweder der Stahl bleibt Teil des Konzerns, oder er wird ausgegliedert und kommt an die Börse. Dann könnten auch Konkurrenten als Partner wieder ins Spiel kommen.
Die IG Metall hätte bisher gerne den Staat als Teilhaber dabei gehabt. Am Donnerstag tauchte diese Forderung in ihren Stellungnahmen so nicht mehr auf. Stattdessen hieß es, bei Thyssenkrupp werde es «ohne ein substanzielles Engagement des Staates im Sinne einer Brückenfinanzierung nicht gehen». Nötig sei «ein klares Bekenntnis von Seiten des Landes NRW oder des Bundes für die Zukunft des Stahls», sagte Jürgen Kerner, für die Gewerkschaft Aufsichtsratsvize bei Thyssenkrupp.
Die Antwort von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart dürfte die Gewerkschaft nicht so recht zufrieden stellen. «Die Landesregierung wird sich nach Kräften weiter für beste Rahmenbedingungen einsetzen, damit die Transformation der Stahlindustrie am Standort Nordrhein-Westfalen gelingt», sagte der FDP-Politiker.