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Corona-Aufbaufonds: Zu wenig, zu spät?

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Apr 17, 2021
Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, äußert sich vor den informellen Videokonferenzen der Eurogruppe sowie der EU-Wirtschafts- und Finanzminister im Bundesministerium der Finanzen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Neun Monate nach der Einigung auf Corona-Aufbauhilfen im Wert von 750 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten das Programm endlich flott bekommen.

Noch immer warten zwei Hürden: die Einigung auf nationale Aufbaupläne und die Zustimmung aller 27 Staaten, damit die EU-Kommission im großen Maßstab Schulden machen kann. Beides geht zäh voran. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gibt sich trotzdem optimistisch. Seinen EU-Kollegen signalisierte er bei Beratungen am Freitag: Deutschland wird kein Bremsklotz sein.

Denn in der EU gibt es Sorgen, weil das Bundesverfassungsgericht die Ratifizierung der Rechtsgrundlage zur Schuldenaufnahme – genannt Eigenmittelbeschluss – vorerst gestoppt hat. Grund ist eine Klage von Kritikern, die eine gemeinschaftliche Verschuldung für unzulässig halten. Wann Karlsruhe im Eilverfahren entscheidet, ist offen. «Wenn sich die Auszahlung der Gelder aus dem Fonds auf unbestimmte Zeit verzögern würde, wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe für Europa», warnte die deutsche Direktorin der Europäischen Zentralbank, Isabel Schnabel, kürzlich im «Spiegel».

Doch Scholz gab sich unbesorgt. «Wir sind gut gerüstet gegen die erhobenen Verfassungsklagen», sagte der SPD-Politiker. «Die Erfahrungen mit vergleichbaren Klagen stimmen mich sehr zuversichtlich, dass die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses zeitnah abgeschlossen werden kann.» Sollte es so kommen, wäre zumindest der größte EU-Staat an Bord.

Allerdings fehlt noch die Ratifizierung in neun weiteren Ländern. In Polen ist die Regierung uneins. Immerhin kündigte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Freitag an, die Ratifizierung werde «sehr wahrscheinlich» im Mai beginnen. Dann wäre es aber schon höchste Eisenbahn, denn ab Juli soll das erste Geld fließen.

Einige Wochen wird es in jedem Fall noch dauern, die nationalen Aufbaupläne unter Dach und Fach zu bekommen. Aus dem Aufbaufonds RRF werden insgesamt 312,5 Milliarden Euro als Zuschüsse an die EU-Staaten verteilt und bis zu 360 Milliarden Euro als Darlehen (jeweils in Preisen von 2018). Deutschland kann nach jetzigem Stand 22,7 Milliarden Euro Zuschüsse erwarten.

Die Staaten sollen vorab genau darlegen, wofür sie die Milliarden verwenden wollen. Dafür gelten diverse Vorgaben, etwa für Investitionen in Klimaschutz und Digitales sowie für die Umsetzung von Reformen. Seit Monaten kursieren bereits Entwürfe. Bis zum 30. April sollen die EU-Staaten die fertigen Pläne bei der EU-Kommission abliefern.

Deutschland wird das nach Scholz‘ Worten auch schaffen. Einigen anderen Ländern traut Kommissionsvize Valdis Dombrovskis dies jedoch nicht zu, wie am Freitagabend nach den Beratungen der Finanzminister sagte. Einige bräuchten wohl noch mehrere Wochen nach Fristende «um bleibende Lücken zu schließen». Dann will die Kommission noch einmal bis zu zwei Monate prüfen, bevor der Rat der Mitgliedsstaaten am Ende abstimmt. Man wolle zumindest «einige Pläne» bis zum Sommer billigen, schränkte der portugiesische Finanzminister João Leão ein. Soll heißen: Wenn ab Juli Geld fließt, dann wohl nicht an alle 27 Staaten.

Das langwierige Verfahren schürt Bedenken. «Die Gelder kommen weder zeitgerecht, noch sind sie ausreichend», moniert zum Beispiel der Linken-Europapolitiker Martin Schirdewan und verweist auf das 1,9 Billionen Dollar schwere Corona-Paket von US-Präsident Joe Biden. Die USA werden ohnehin gerade als eine Art Musterknabe gehandelt, zumal die Corona-Impfungen viel weiter sind als in der EU und die Konjunktur anspringt.

In der EU will man das so nicht stehen lassen. «Ich würde der Einschätzung widersprechen, dass Europa hinter den USA zurückfällt», sagte der Chef des Eurorettungsschirms ESM, Klaus Regling. Die Wachstumsprognosen fielen für Europa dieses Jahr etwas schwächer aus als in den USA, im kommenden Jahr sei es aber umgekehrt.

Auf den 750-Milliarden-Plan ist die EU immer noch enorm stolz – ist es doch ein historischer Kraftakt und wegen der gemeinsam aufgenommenen Schulden etwas ganz Neues. «Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Eurozone einen wirtschaftlichen Plan einsetzt, der für unsere Menschen eine starke Erholung von den Folgen dieser Krankheit liefert», sagte der Chef der Eurogruppe, Paschal Donohoe.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni rechnete vor, dass Europa viel stärker als die USA sogenannte automatische Stabilisatoren genutzt habe – etwa Sozialleistungen wie Kurzarbeitergeld – ebenso wie öffentliche Garantien für Unternehmen. Die US-Krisenreaktion sei beeindruckend. «Aber wir sollten aus diesem Grund nicht unsere Reaktion unterschätzen, die genauso stark war», sagte Gentiloni.

Allein Deutschland brachte inzwischen 215 Milliarden Euro an Unternehmenshilfen und steuerlicher Unterstützung auf, dazu etwa 30 Milliarden Euro an Kurzarbeitergeld, wie Scholz sagte. Aber: «Deutschland geht es nur gut, wenn es Europa gut geht.» Genau das ist der Punkt: Einige hoch verschuldete EU-Staaten können sich derart üppige Hilfsprogramme nicht leisten – über den EU-Fonds soll deshalb umverteilt werden. Der Fonds sei damit «eine historische Chance, um Europa wieder fit zu machen», bekräftigte Scholz.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa