Die deutsche Industrie mit Millionen von Jobs steht im Ringen für mehr Klimaschutz vor einem gewaltigen Umbruch. Nur: Wie kann dieser gelingen und was muss die Politik tun – damit Deutschland «Industrieland» bleibt und nicht Firmen abwandern und Arbeitsplätze verloren gehen?
Das war die Kernfrage beim Schaulaufen der drei Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen am Dienstag beim Tag der Industrie in Berlin. Eines machten alle drei klar – Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne): Ohne die Industrie können die Klimaziele nicht erreicht werden. Die aber wird zunehmend ungeduldig.
Dringend notwendige Richtungsentscheidungen seien bisher ausgeblieben, kritisierte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. «Es reicht nicht, Klimaneutralität per Gesetz vorzuschreiben.» Dieses Ziel soll nach dem Willen der Politik bis 2045 erreicht werden – fünf Jahre früher als bisher geplant. Dieses neue Ziel und damit auch höhere Zwischenziele etwa für 2030 sind eine Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Kern besagte: Einschneidende Schritte zur Senkung von Emissionen dürfen nicht zulasten der jungen Generation auf die lange Bank geschoben werden.
Der Staat aber müsse schneller werden, forderte Russwurm. Planungs- und Genehmigungsverfahren dauerten oft viele Jahre. In der öffentlichen Verwaltung gebe es «haarsträubende» Defizite bei der Digitalisierung. Bei den öffentlichen Investitionen sei Deutschland unter den Schlusslichtern in Europa. Der Chef des Industrie- und Autozulieferers Schaeffler, Klaus Rosenfeld, sagte, im Ziel sei man sich einig: «Wichtig ist, dass wir jetzt vorankommen.»
Die Erwartungen der Industrie an die künftige Bundesregierung sind also ziemlich hoch. Laschet, Scholz und Baerbock bekamen reichlich Zeit, ihre Vorstellungen darzulegen – nach einer Eingangsrede jeweils im Dialog mit Managern. Die Schwerpunkte waren unterschiedlich.
CDU-Chef Laschet bekräftigte seinen Slogan des «Modernisierungsjahrzehnts». Deutschland müsse schneller werden bei Digitalisierung und Infrastruktur. Firmen bräuchten mehr Freiräume, um vor allem in den Klimaschutz investieren zu können. Der Staat dürfe nicht immer mehr regulieren, Vorschriften müssten zurückgenommen werden. Steuererhöhungen nach der Wahl werde es mit ihm nicht geben.
Scholz dagegen will, dass Vermögende künftig mehr Steuern zahlen – auf die künftige Steuerpolitik aber ging er gar nicht ein beim Industrie-Tag. Der SPD-Kandidat präsentierte sich als oberster Klimaschützer und «Macher». Deutschland stehe vor einer historischen Veränderung, es brauche eine neue Art der politischen Führung. «Es geht jetzt ums Machen, ums Hinbekommen, um Leadership», sagte der aktuelle Vizekanzler. «Ich will, dass die deutsche Industrie aus diesem Wandel nicht geschwächt hervorgeht – sondern gestärkt.»
Scholz setzte außerdem auf Attacke. Dem CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier warf er eine «Stromlüge» vor. Bis heute gehe das Wirtschaftsministerium davon aus, dass der Stromverbrauch bis 2030 konstant bleibe – allerdings hatte Altmaier erst vor kurzem angesichts der neuen Klimaziele neue Berechnungen angekündigt. Der Strombedarf werde massiv steigern, sagte Scholz mit Blick auf mehr Elektroautos, Wärmepumpen und industrielle Prozesse. Die aktuellen Planungen stimmten aber weder für den Ausbau der Stromerzeugung noch für die Stromtrassen. Und alles gehe viel zu langsam.
Mehr Tempo will auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock – und sie bot der Industrie einen Schulterschluss an. «Wir werden es nur gemeinsam schaffen können.» Baerbock bekräftigte ihre Idee eines «Industriepakts». Die Grundidee dahinter ist, dass der Staat Zusatzkosten für klimaschonendere Produktionsweisen tragen soll, bis sich diese rechnen. Die Unternehmen bräuchten Planungssicherheit, es gehe um die Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland.
Allerdings: Viele in der Industrie sind skeptisch, ob die Grünen nicht doch am liebsten mit dem Mittel Ordnungsrecht regieren, wenn sie erst einmal im Kanzleramt sind. Und auch bei konkreten Fragen gibt es durchaus Konflikte. Beispiel Wasserstoff. Baerbock ist gegen eine Förderung mit der Gießkanne. Es werde voraussichtlich nicht genug Wasserstoff geben, um ihn in allen Branchen einzusetzen. Man brauche Wasserstoff nicht in kleinen Autos, dort gebe es Alternativen, sondern vor allem etwa in Stahlwerken.
Das kommt nicht gut an in der Industrie, die auf «Technologieoffenheit» setzt. Die Autoindustrie etwa will Wasserstoff auch zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe einsetzen. Die Politik solle die Rahmenbedingungen setzen und verbessern, kritisierte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie – aber nicht die Technologie bestimmen.
Dort, wo Laschet, Scholz und Baerbock hinwollen, sitzt seit fast 16 Jahren Angela Merkel (CDU) – im Kanzleramt. Die Kanzlerin wurde live zugeschaltet, sie nahm sich mehr als 20 Minuten Zeit. Zum Tag der Industrie im vergangenen Jahr hatte sie nur eine aufgezeichnete zweiminütige Videobotschaft geschickt, was viele in der Industrie verstörte.
Auch bei Merkel nahm das Thema Klimaschutz den größten Raum ein. Investitionen seien von entscheidender Bedeutung. Dies sei einerseits die Aufgabe der Wirtschaft. Es gebe aber Bereiche wie die Produktion von Batteriezellen für Elektroautos, in denen es nicht ohne staatliche Unterstützung gehe, sagte Merkel: «Wir werden in den nächsten Jahren gigantische Summen ausgeben müssen.»