Passagiere der Deutschen Bahn müssen sich in den kommenden Wochen auf erste Warnstreiks der Lokführer einrichten.
Deren Gewerkschaft GDL hat mitten in der Ferienzeit einen Arbeitskampf beim Schienen-Riesen beschlossen und will an diesem Donnerstag (24. Juni) in Berlin Details zu den geplanten Arbeitsniederlegungen nennen. «Die Streiks werden härter und länger als in der Vergangenheit» hatte GDL-Chef Claus Weselsky vor wenigen Tagen angekündigt und damit Erinnerungen an den Lokführer-Streik aus den Jahren 2014/2015 geweckt.
Ausgebuchte Autozüge und steigende Buchungszahlen hatten den Staatskonzern gerade auf eine Atempause in der Corona-Krise hoffen lassen, in der die Züge meistens leer blieben. Eine Lücke von mehr als 4 Milliarden Euro habe die Krise allein im Jahr 2020 gerissen und bis 2024 rechnet der ohnehin stark verschuldete Konzern mit einem Gesamtschaden von rund 10 Milliarden Euro durch Corona.
Schlechte Zeiten für hohe Lohnforderungen, sollte man meinen, doch die GDL gibt sich «kampferprobt und -erfahren». Eine Bahn-Sprecherin forderte die Gewerkschaft am Mittwoch erneut auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Es lägen fundierte Angebote für mehr Lohn und zusätzlichen Kündigungsschutz auf dem Tisch, zu denen die GDL-Spitze bislang seriöse Verhandlungen verweigert habe. Sie erklärte: «Gerade jetzt, wo die Ferien vor der Tür stehen und sich viele nach harten Pandemie-Monaten wieder aufs Reisen freuen, will die GDL-Spitze die Aufbruchsstimmung zunichtemachen.»
Weselsky prangert seinerseits Missmanagement der DB-Führungsetage an. Dem Portal «t-online.de» sagte er: «Wir zweifeln nicht an, dass die Bahn in der Pandemie Verluste gemacht hat, aber wir zweifeln sehr wohl an, dass der Eisenbahner dafür den Kopf hinhalten soll. Dem kleinen Mann soll nun in die Tasche gegriffen werden, damit die Manager weiter Schampus trinken können.»
Es wäre der erste Warnstreik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Lokführerstreik, den die Politiker Matthias Platzeck (SPD) und Bodo Ramelow (Linke) am 1. Juli 2015 fast auf den Tag genau vor sechs Jahren mit einer schwer erkämpften Schlichtung beendeten. In acht sich steigernden Wellen hatte die GDL seit September 2014 ihre Streiks durchgezogen, kurzfristige Ankündigungen und überraschende Streikabsagen inklusive. Die Nerven von Bahn-Managern wie Fahrgästen lagen blank, Weselsky avancierte zwischenzeitlich zum bestgehassten Gewerkschafter Deutschlands, konnte sich aber letztlich fester etablieren.
Damals wie heute geht es um die Rolle der GDL im Verhältnis zur größeren DGB-Gewerkschaft EVG, die der streitbare Sachse Weselsky als «Einkommens-Verringerungs-Gewerkschaft» verspottet. Auch in den laufenden Verhandlungen will der GDL-Chef seinen Einflussbereich auf Kosten der Konkurrenz ausweiten, also Tarifabschlüsse für weitere Berufsgruppen abschließen, für die bislang die EVG gestritten hat.
Hintergrund ist das bereits 2015 beschlossene Tarifeinheitsgesetz, das bei der Bahn seit Jahresende 2020 umgesetzt wird und die GDL künftig stark eingrenzen könnte. In jedem einzelnen der rund 300 Bahnbetriebe wird seitdem bei einer Tarifkollision geprüft, welche Gewerkschaft mehr Mitarbeiter vertritt und folglich den Tarifvertrag verhandeln darf. Streiks der jeweils kleineren Gewerkschaft würden damit illegal. Die Versuche der GDL, dieses Vorgehen des Unternehmens gerichtlich zu stoppen, sind bislang gescheitert.
Bahn und GDL machen sich gegenseitig für ein Scheitern der Tarifverhandlungen verantwortlich. Die GDL fordert Lohnerhöhungen wie im öffentlichen Dienst von rund 3,2 Prozent sowie eine deutliche Corona-Prämie im laufenden Jahr. Nach Lesart der Bahn summieren sich die gesamten Forderungen aber auf etwa das Dreifache davon. Das Unternehmen will sich wegen Corona am «Notlagentarifvertrag» der Flughäfen orientieren, der eine ähnliche Erhöhung um 3,2 Prozent auf einen längeren Zeitraum und spätere Stufenpunkte verteilen würde.
Die EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss erzielt. Ab Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld – wenig im Vergleich zu Tarifrunden in besseren Zeiten. Dafür sind bis Ende 2023 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Die GDL will nun mit Streiks mehr herausholen.