Der erste Ferientag ist trüb und nass in Berlin. Doch was die Lokführergewerkschaft in der Hauptstadt verkündet, heitert gerade in Ländern mit frühen Sommerferien viele auf: keine Streiks bei der Bahn bis zum 9. August.
Für alle aber, die später reisen wollen, gilt: «Unmittelbar danach ist mit Arbeitskämpfen zu rechnen.» Das kündigt Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), an. Es geht ihm um mehr Geld für die Beschäftigten. Er kämpft aber auch um die Zukunft seiner Gewerkschaft. Die Kunden dagegen wollen schlicht eins: dass die Züge fahren.
«Ich hoffe, dass sie sich wieder zusammensetzen und miteinander verhandeln», sagt Karl-Peter Naumann, der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn. Die Zeit müsse genutzt, der Tarifkonflikt gelöst werden, vielleicht mit unabhängiger Moderation. Denn das Tischtuch zwischen Gewerkschaft und Bahn scheint zerschnitten: man bezichtigt sich der Lüge, spricht über- und nicht miteinander.
Die Bahn sieht die Lokführer auf «Geisterfahrt». Nach den schweren Monaten der Pandemie wolle sie den Reisenden «das Sommermärchen zerstören», meint Personalchef Martin Seiler. Es gibt keinen günstigen Zeitpunkt für Streiks, erwidert die Gewerkschaft. Sie könne nicht auf alle Ferientermine Rücksicht nehmen.
Für die Bahn ist es nicht nur das Thema Ferien. Nach mehreren Corona-Wellen fassen die Reisenden gerade wieder Vertrauen, die Buchungszahlen steigen. Rund zehn Milliarden Euro Umsatzminus werde die Pandemie bis 2024 anrichten, kalkuliert das Management. Großzügige Tarifabschlüsse wie früher seien nicht drin.
Die GDL fordert Lohnerhöhungen wie im öffentlichen Dienst von rund 3,2 Prozent sowie eine deutliche Corona-Prämie im laufenden Jahr. Nach Lesart der Bahn summieren sich die gesamten Forderungen aber auf etwa das Dreifache davon – was die GDL bestreitet.
Wegen der Pandemie will sich die Bahn am «Notlagentarifvertrag» der Flughäfen orientieren, der eine ähnliche Erhöhung um 3,2 Prozent auf einen längeren Zeitraum und spätere Stufenzeitpunkte verteilen würde. Die Bahn will den Vertrag auf 40 Monate strecken.
Vor gut zwei Wochen hatte die Gewerkschaft das Scheitern der Tarifverhandlungen erklärt und «Arbeitskampfmaßnahmen» ankündigt. Nun kommt bis zum 9. August die Urabstimmung, das ist so eine Maßnahme, auch wenn in den vergangenen Wochen mehr von Streiks die Rede war. Und zwar von härteren und längeren Arbeitskämpfen als in der Vergangenheit; mehrtägige Streiks hatte es zuletzt 2015 geben.
Mit der langen Frist zieht die GDL ein Thema in den Bundestagswahlkampf, das für sie eine Existenzfrage darstellt. Seit Ende 2020 setzt die Bahn das Tarifeinheitsgesetz um. In jedem der rund 300 Bahnbetriebe wird seitdem bei einer Tarifkollision geprüft, welche Gewerkschaft mehr Mitarbeiter vertritt und folglich den Tarifvertrag verhandeln darf.
Meist ist es die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Versuche der GDL, dieses Vorgehen gerichtlich zu stoppen, sind bislang gescheitert. Weselsky rechnet auch deshalb damit, dass mehr als 90 Prozent der Mitglieder für Streik stimmen. «Der Raum ist gefüllt mit einem explosiven Gas-Luft-Gemisch. Wir brauchen nur ein Streichholz hineinzuhalten.»
Die Konkurrenzgewerkschaft EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss unterschrieben. Ab Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen und sie kann im Frühjahr 2023 schon wieder verhandeln. Die GDL will mehr herausholen und nutzt die Urabstimmung auch als Druckmittel.
«Es ist eine lange Zeit zum Nachdenken für die Teppichetage im Bahntower und auch für den Eigentümer», sagt Weselsky. Der Staatskonzern habe auf Geheiß des Bundes den Verkehr während der Corona-Pandemie durchgehend aufrechterhalten. «Wer die Musik bestellt, wird sie auch bezahlen müssen.»
In der «Teppichetage» gibt es Bereitschaft, zusätzlich über eine Corona-Prämie für die Mitarbeiter zu reden, wie zu hören ist. Doch bislang habe die Gewerkschaft nicht einmal über bisherige Angebot verhandeln wollen. Bahn-Personalchef Martin Seiler bringt eine nochmalige Schlichtung ins Gespräch – was die GDL umgehend ablehnt.
Vorerst sieht es nicht nach neuen Verhandlungen aus. Die Gewerkschaft verfahre unverantwortlich und unseriös, sagt Seiler. «Mit immer neuen Drohungen und Ankündigungen verunsichert der GDL-Chef Millionen Bahnkunden.»