Der Auto- und Lastwagenbauer Daimler vermeldet wieder üppige Milliardengewinne wie in besten Zeiten, will aber an seinem Sparkurs festhalten. Früheren Berichten zufolge sollen allein über diesen Weg zwischen 20.000 und 30.000 Jobs wegfallen.
«Weder können wir noch wollen wir das schwäbische Gen des Sparens aufgeben», sagte Konzernchef Ola Källenius am Mittwoch und ging auf Konfrontation zum Betriebsrat, dessen Chef Michael Brecht angesichts bestens laufender Geschäfte ein Einlenken gefordert hatte. «Wenn wir volle Auftragsbücher haben und die Gewinne sprudeln, wie soll die Belegschaft da Verständnis haben für Sparmaßnahmen, die über Jahre laufen sollen?», sagte Brecht der «Automobilwoche».
Daimler hatte vor rund einem Jahr zu Beginn der Pandemie wegen tiefroter Zahlen und einem Nachfrageeinbruch einen Sparkurs nochmals verschärft. Vor allem über Abfindungsprogramme sollen Tausende Jobs abgebaut werden. Der Konzern äußert sich nicht zu Zahlen, bestätigt aber deutliche Einsparungen, die auch im Vergleich zu anderen Autobauern wie Volkswagen und BMW umfassender ausfallen dürften. BMW hatte in der Krise in einem ersten Schritt den Abbau von rund 6000 Stellen bestätigt, VW in erster Linie über einen vorübergehenden Neueinstellungsstopp gespart.
Trotz der andauernden Corona-Krise und Lieferengpässen bei wichtigen elektronischen Bauteilen lief das erste Halbjahr für den Stuttgarter Konzern blendend. Bis Ende Juni verdiente das Unternehmen netto 7,9 Milliarden Euro, nachdem im Vorjahreszeitraum ein Verlust von 1,9 Milliarden angefallen war. Der Umsatz kletterte verglichen mit dem coronabedingt eingebrochenen Geschäft vor einem Jahr um 25 Prozent auf 84,5 Milliarden Euro.
Källenius befand, trotz guter Geschäftszahlen müsse weiter an der Effizienz gearbeitet werden, zumal Daimler derzeit «erhebliche Milliardenbeträge» für den angepeilten Umbau von Verbrennungs- hin zu Elektromotoren aufwende. Ein Ende des Sparens wäre schon deshalb «nicht die beste Strategie für die Bewältigung der Transformation», urteilte Källenius und zog den Vergleich zu einem Ausnahmesportler. Wenn er die Frage höre, ob man das Sparprogramm nicht abmildern könne, sei das so, als ob ein Topathlet sage: «Naja, jetzt trainiere ich ein bisschen weniger, ich bin ja schon schnell.» Das sei die falsche Mentalität. Das Jahrzehnt der Transformation werde noch teuer. Man dürfe Kostensenkungen nicht wieder kassieren, nur weil «der Zwischenspurt finanziell gut» aussehe.
Weltweit hatte Daimler Ende 2019 rund 298.700 Beschäftigte, Mitte 2020 noch 293 700 und inzwischen 289.600. Die Zahl dürfte weiter zurückgehen – obwohl Daimler nicht nur Stellen abbaut, sondern vor allem im für die Elektromobilität mitentscheidenden Software-Segment auch Tausende neue Jobs schafft. Brecht bezeichnete die Situation als «verrückt». Einerseits gebe der Konzern Hunderte Millionen Euro aus, um Leute nach Hause zu schicken. Auf der anderen Seite stelle man Tausende Software-Spezialisten ein. Die Effizienz könne nicht der einzige Maßstab sein. «Wir müssen doch schauen, dass wir die Menschen in neue Funktionen weiterentwickeln oder dass wir mit dem vorhandenen Personal einen zusätzlichen Mehrwert für den Kunden schaffen können.»
Tatsächlich investiert Daimler wie andere Konzerne viel Geld in Weiterbildungsprogramme – aber dass aus einem Experten für den Verbrennungsmotor mal eben ein Software-Programmierer wird, dürfte eine Ausnahme bleiben. Im Elektrozeitalter müssen etablierte Autohersteller nicht gegen die gewohnte Konkurrenz, sondern auch gegen Digitalkonzerne wie Google, Apple oder Alibaba bestehen. Diese bewegen sich in das Feld der Automobilbauer hinein, weil bei E-Autos die Bedeutung von Software als mindestens so wichtig gilt wie die reine Autoerfahrung. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer sagt, Fahrzeugsoftware werde zum «beherrschenden Thema» der kommenden 20 Jahre.
Alle Hersteller versuchen händeringend, ihr Fachwissen im Software-Bereich durch die Anwerbung von Talenten auszubauen. Der Markt ist äußerst umkämpft – auch deshalb verhandeln bei Daimler Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter über spezielle Tarifverträge für Elektroingenieure und Software-Experten. Dem Vernehmen nach sollen diesen – um sie überhaupt zu ködern – unter anderem flexiblere Arbeitszeit- und Boni-Modelle angeboten werden.
Noch ist das Zukunftsmusik, denn bisher verdient Daimler das mit Abstand meiste Geld mit herkömmlichen Verbrennern. In einigen Jahren dürfte das allerdings anders aussehen. Bisher gilt die Maßgabe, dass Elektro- und Hybridautos bis 2030 die Hälfte des Pkw-Absatzes ausmachen sollen. Gut möglich, dass Daimler angesichts des wachsenden Wettbewerbs in diesem Bereich noch mutigere Ziel avisiert: Für diesen Donnerstag hat der Konzern die Investoren zu einem Update seiner Elektroplanungen eingeladen.