• Do. Nov 21st, 2024

Ohne russisches Öl aus der «Druschba»-Pipeline – geht das?

Seit knapp 60 Jahren sprudelt russisches Öl durch die «Druschba»-Trasse. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

Mehr als 5000 Kilometer reicht die «Freundschaft»: die «Druschba»-Pipeline von Russland über Belarus nach Ostdeutschland. Seit knapp 60 Jahren sprudelt russisches Öl durch die Leitung.

Die Raffinerien in Schwedt an der Oder und Leuna bei Halle produzieren daraus Benzin, Diesel oder Heizöl für Tausende Tankstellen und Haushalte. Ist damit bald Schluss?

«Bis Mitte des Jahres werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein», kündigte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag an. «Zum Jahresende streben wir an, nahezu unabhängig zu sein.» Der französische Ölkonzern Total hat schon entschieden, seine Raffinerie in Leuna künftig ohne russisches Öl zu betreiben. Der Kurswechsel dürfte weitreichende Folgen haben – auch für Preise und Verbraucher.

Wie stark hängt Deutschland am russischen Öl?

Im vergangenen Jahr stammten nach Habecks Angaben etwa 35 Prozent des deutschen Ölverbrauchs aus Russland. Vom russischen Importrohöl kamen wiederum zwei Drittel über die Druschba-Pipeline, der Rest über den Seeweg. Ostdeutschland wird fast nur über die Druschba mit russischem Öl versorgt.

Die daraus gewonnenen Produkte sind der Schmierstoff für wichtige Teile der ostdeutschen Wirtschaft. Hier arbeiten laut Branchenverband rund 54.500 Menschen in 160 Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Schwerpunkt ist das sogenannte Chemiedreieck Leuna, Schkopau, Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt und Böhlen in Sachsen. Eine wichtige Rolle spielen die beiden Raffinerien: die Total Energies Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna und PCK Schwedt. Letztere wurde im vergangenen Jahr fast vollständig vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen – eine Beteiligung, die derzeit von Habecks Ministerium überprüft wird.

Was bedeutet ein Öl-Importstopp für uns?

Im Vergleich zu Erdgas lässt sich russisches Öl leichter auf dem Weltmarkt ersetzen und einfacher transportieren. Nach Habecks Angaben sind schon Schritte eingeleitet. Verträge würden nicht verlängert. Durch veränderte Lieferketten sinke die Abhängigkeit von russischem Öl absehbar auf 25 Prozent. Doch sei der «Prozess anspruchsvoll», weiß der Grünen-Politiker.

Joachim Ragnitz, Vizechef des Ifo-Instituts Dresden, rechnet bei einem Ende der Öllieferungen aus Russland mit massiven Auswirkungen auf Preise, womöglich auch auf die Versorgung mit Kraftstoffen und auf die Chemieindustrie. Höhere Preise erwartet auch Hendrik Mahlkow vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Doch er kommt zu dem Schluss, dass sich auch ein Ölembargo – also ein abruptes Ende der russischen Lieferungen – stemmen ließe. Nötig wären staatliche Hilfen für besonders Betroffene sowie Sparanreize zur Senkung des Verbrauchs.

Und für Ostdeutschland?

Die Raffinerien in Schwedt und Leuna verarbeiten jeweils bis zu zwölf Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr aus der Druschba-Leitung. In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fahren neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus Schwedt. Leuna beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Bei neuen Bezugsquellen ist eine Umrüstung nötig, wie IfW-Experte Mahlkow erläutert. «Die ostdeutschen Raffinerien sind spezifisch kalibriert auf Öl aus bestimmten Feldern in Sibirien. Sie umzustellen, wäre auf jeden Fall mit Investitionen verbunden.» Die Mehrkosten könnten bei Verbrauchern zu Buche schlagen. Zudem kostet die Umstellung Zeit. Derweil müssten Treib- und Heizstoffe über längere Distanzen aus anderen Raffinerien hergebracht werden – ebenfalls ein Kostenfaktor. In dem Fall könnten Preise an der Zapfsäule in Ostdeutschland noch etwas höher ausfallen als anderswo in der Bundesrepublik, erwartet Mahlkow.

Ifo-Fachmann Ragnitz sieht zudem Schwierigkeiten, die Lieferung von Rohöl auf den Seeweg umzustellen. «So viele Öltanker wird es nicht geben, um das in ausreichender Menge zu liefern», sagt er. «Und eine neue Pipeline kann man nicht von heute auf morgen bauen.»

Habeck spricht von einer «Reihe von Voraussetzungen» für den Umstieg im Osten: Nötig seien Lieferungen über Häfen wie Rostock und Danzig sowie per Lastwagen und Zug aus dem Westen. «Die Unternehmen und die Bundesregierung arbeiten aktuell mit Hochdruck daran, diese Voraussetzungen zu schaffen», heißt es in Habecks «Fortschrittsbericht Energiesicherheit».

Was hat Total entschieden?

Total hat die Weichen für die Raffinerie in Leuna mit ihren rund 660 Mitarbeitern bereits gestellt: Mit Ablauf dieses Jahres wolle man kein russisches Erdöl mehr kaufen, teilte der Konzern diese Woche mit. Ein 100-prozentiger Ersatz werde aber nicht möglich sein, erwartet Christof Günther, Geschäftsführer der Infraleuna, die die Infrastruktur am Chemiestandort Leuna betreibt. Er forderte Unterstützung vom Bund bei der Versorgung des Standorts und anderer Chemiefirmen in Ostdeutschland.

Ist in Schwedt ähnliches zu erwarten?

Der russische Eigentümer der Raffinerie PCK wird kaum von sich aus auf Lieferungen über die vom russischen Unternehmen Transneft betriebene Druschba-Leitung verzichten – immerhin ein Drittel aller deutschen Ölimporte aus Russland, wie Habeck vorrechnete. «Die Bundesregierung kümmert sich intensiv darum, dieses komplexe Problem zu lösen, um so die völlige Unabhängigkeit von russischem Öl zu erreichen», heißt es in seinem Bericht. In Schwedt – einer Stadt mit heute etwa 30.000 Einwohnern, die mit Errichtung des Erdölverarbeitungswerks in den 1960er Jahren entstand – ist die Verunsicherung ist groß. In der Stadtverwaltung Schwedt steht das Telefon nicht mehr still, wie eine Sprecherin sagt. Viele haben Fragen zur Zukunft der Raffinerie mit mehr als 1100 Beschäftigten.

Stehen Jobs auf dem Spiel?

IfW-Experte Mahlkow ist recht zuversichtlich: «In den Raffinerien ist viel Kapital gebunden, die werden sich definitiv auf neue Lieferanten einstellen können. Da sehe ich mittelfristig keine Gefahr für die Arbeitsplätze.» Kurzfristig bräuchte man während der Umstellung möglicherweise Hilfen wie Kurzarbeitergeld. Die Folgen höherer Preise für diese und andere Branchen sind aber auch für Fachleute schwer einzuschätzen. Allein am Chemiestandort Leuna gibt es 100 Firmen mit 12.000 Beschäftigten.

Von Petra Buch, Silke Nauschütz und Verena Schmitt-Roschmann, dpa