• Fr. Nov 22nd, 2024

Weniger Abhängigkeit von Russland: Wie weit wir schon sind

Die Verdichterstation in Mallnow nahe der deutsch-polnischen Grenze übernimmt vorwiegend russisches Erdgas. Von der Quelle bis zum Einsatzort legt das Erdgas in der Pipeline «Jagal» mehrere tausend Kilometer zurück. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

Russland hat Deutschland im «Klammergriff» – bei Importen von Gas, Kohle und Öl. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind aber bereits «erhebliche Erfolge» erzielt worden, um die Abhängigkeit zu verringern.

Das sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin. Helfen sollen auch zusätzliche Flüssiggas-Lieferungen (LNG) aus den USA in die Europäische Union.

Deutschland sei dabei, seine Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo zu verringern und die Energieversorgung auf eine breitere Basis zu stellen, heißt es in einem «Fortschrittsbericht Energiesicherheit» des Ministeriums. «Erste wichtige Etappenziele sind erreicht, um uns aus dem Klammergriff der russischen Importe zu lösen», sagte Habeck. Ein Überblick:

Kohle:

Am weitesten ist Deutschland bei der Kohle. Bisher machte russische Steinkohle rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs aus. Unternehmen haben laut Ministerium nun Lieferketten neu aufgestellt und Verträge umgestellt. Dadurch sinke die Abhängigkeit bei Kohle in den nächsten Wochen auf rund 25 Prozent. Dies sei schon ab April Schritt für Schritt wirksam. Bis Frühsommer werde ein Großteil der Betreiber gänzlich auf russische Steinkohle verzichtet haben: «Bis zum Herbst kann Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein.»

Öl:

Die Abhängigkeit von russischem Öl sinkt laut Bericht des Ministeriums von zuvor 35 Prozent durch Vertragsumstellungen absehbar auf etwa 25 Prozent. «Bis Mitte des Jahres werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein», heißt es. «Zum Jahresende streben wir an, nahezu unabhängig zu sein.»

Vor allem der Osten hängt über die «Druschba»-Pipeline an russischem Öl. Der französische Energiekonzern Total hatte angekündigt, für die Raffinerie in Leuna mit Ablauf dieses Jahres kein russisches Erdöl mehr zu kaufen. Schwieriger ist die Lage in der Raffinerie in Schwedt, die fast vollständig vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen wurde – eine Beteiligung, die derzeit vom Wirtschaftsministerium überprüft wird. Habeck sagte, es sei ein Fehler gewesen, einem russischen Staatskonzern solch eine Verantwortung zu geben.

Gas:

Um von russischem Gas wegzukommen, ist die Lage komplizierter als bei Öl und Kohle. Der Anteil der russischen Gaslieferungen sank aber laut Ministerium bereits von 55 Prozent auf 40 Prozent. Bis zum Sommer 2024 könne es gelingen, bis auf wenige Anteile unabhängig von russischem Gas zu werden, sagte Habeck. Das hänge aber auch vom Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland ab – sowie von einer konsequenten Senkung des Verbrauchs auf allen Ebenen.

Helfen sollen nun zusätzliche Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG). Die Bundesregierung arbeitet daran, 2022 und 2023 mehrere schwimmende LNG-Terminals in Deutschland in Betrieb zu nehmen. Die Energiekonzerne RWE und Uniper hätten sich im Auftrag der Bundesregierung eine Option auf drei schwimmende LNG-Terminals gesichert. Zudem soll der Aufbau von Terminals etwa in Brunsbüttel vorangetrieben werden.

Zusätzliches, nicht-russisches Gas soll zum Beispiel aus Norwegen, den Niederlanden und Katar kommen – und aus den USA. Die Vereinigten Staaten kündigten am Freitag an, in diesem Jahr gemeinsam mit internationalen Partnern 15 Milliarden Kubikmeter LNG zusätzlich in die EU liefern zu wollen. Langfristig soll die Menge steigen: Bis 2030 soll die EU jedes Jahr etwa 50 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr aus den USA kaufen, wie US-Präsident Joe Biden zusammen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel ankündigte. Damit könnte nach Kommissionsangaben etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden.

Gas aus den USA aber ist umstritten: Denn in den USA wird LNG meist mittels der Fracking-Methode gefördert. Dabei wird unter hohem Druck eine Flüssigkeit in den Boden gepresst, um das Gestein durchlässiger zu machen und Gas oder auch Öl fördern zu können. Kritiker warnen vor umweltschädlichen Emissionen und einer möglichen Gefährdung des Grundwassers. So will etwa der US-Bundesstaat Kalifornien Fracking ab 2024 verbieten.

Versorgungssicherheit:

Deutschland sei sicher durch den Winter gekommen, sagte Habeck. Es gebe aktuell keine Versorgungsengpässe. Er könne aber noch nicht sagen, das Deutschland sicher durch den nächsten Winter komme. Damit das gelingt, sollen neben zusätzlichen «Putin-freien» Gaslieferungen auch die Gasspeicher in Deutschland in Zukunft immer ausreichend befüllt sein.

Der Bundestag stimmt am Freitag einem entsprechenden Gesetz zu, das einen Stufenplan mit verbindlichen Füllständen vorsieht. Die Füllstände der Speicher seien in diesem Winter historisch niedrig gewesen, so das Wirtschaftsministerium. Dies gelte besonders für die zwei Speicher des russischen Staatskonzerns Gazprom. Eine solche Situation soll sich im nächsten Winter nicht wiederholen. Daneben arbeitet das Ministerium daran, weitere Kohlekraftwerke in der Reserve zu halten.

Außerdem soll der Öl- sowie Gasverbrauch gesenkt werden. «Jede Anstrengung, jede eingesparte Kilowattstunde hilft ebenfalls und schadet Putin», sagte Habeck. Auf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen allerdings konnte sich die Ampel nicht einigen, stattdessen gibt es Entlastungen für Autofahrer an der Tankstelle. Die Bundesregierung plant auch einen schnelleren Austausch von Öl- und Gasheizungen.

Von Andreas Hoenig und Laura Dubois, dpa