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Wie der Krieg zu Verzicht und Umsteuern zwingt

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Apr 6, 2022
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bei einer Pressekonferenz in Berlin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Michael Kappeler/dpa)

Der Ukraine-Krieg «wird uns Wohlstand kosten», sagt Bundeswirtschaftminister Robert Habeck. Und Finanzminister Christian Lindner mahnt, Deutschland müsse sich «neue Quellen des gesellschaftlichen Wohlstands erarbeiten».

Grüne und FDP in seltener Einmütigkeit. Dass Russland als verlässlicher Partner die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft mit bezahlbarem Öl und Gas versorgen wird, ist angesichts der Konfrontation mehr als fraglich. Deutschlands Verbraucher bekommen die Folgen Tag für Tag vor Augen geführt: Die Benzinpreise sind kletterten auf Rekordniveau. Im Einzelhandel haben sich viele Waren verteuert. In manchem Supermarkt sind die Regale für Speiseöl leer. Die Corona-Krise ist noch nicht verdaut, da katapultiert der Krieg im Osten Europas die Wohlstandsgesellschaften im Westen in eine neue Zeit.

«Frieren für die Freiheit»

«Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben», sagte der frühere Bundespräsident Joachim Gauck Mitte März in der ARD-Talkshow «Maischberger». Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hielt fest: «Wörter, die sehr lange keine Rolle mehr gespielt haben in der deutschen Wirklichkeit, kehren zurück: Verzicht, Entbehrung, Opferbereitschaft, Mangel.»

Umfragen zufolge schränken sich viele Menschen in Deutschland bereits ein. Etwa jeder siebte Erwachsene kann nach eigenen Angaben angesichts der gestiegenen Teuerung – 7,3 Prozent im März – kaum noch die Lebenshaltungskosten bestreiten, wie eine YouGov-Erhebung im Auftrag der Postbank ergab. Von den Befragten aus Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2500 Euro geben knapp 24 Prozent an, sie seien wegen gestiegener Preise kaum noch in der Lage, die regelmäßigen Ausgaben zu stemmen. Im Januar sagten dies noch 17 Prozent aus dieser Gruppe. Die Inflation zehrt an der Kaufkraft der Menschen.

«Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer»

Zwei milliardenschwere Pakete hat die Bundesregierung geschnürt, um die Menschen angesichts der Energie- und Spritpreise zu entlasten. Auf Dauer jedoch wird der Staat es allein mit Geld nicht richten können. «Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer, zum Beispiel weil wir mehr für importierte Energie zahlen müssen», sagte FDP-Chef Lindner Anfang April der «Bild am Sonntag». «Diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen.»

Sicheres Einkommen, sich materielle Wünsche erfüllen können – in dem seit 2012 quartalsweise erhobenen Wohlstandsbarometer des Marktforschungsinstituts Ipsos bekommen solche Faktoren hohe Zustimmungswerte, wenn Menschen nach ihrem Verständnis von Wohlstand gefragt werden.

Anders als in den Krisen der vergangenen Jahre erschüttert der Krieg in der Ukraine manche Selbstverständlichkeit auch in Deutschland. «Eine weitere Folge des Ukraine-Kriegs ist das Ende der Friedensdividende in Form fallender Rüstungsausgaben», analysierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Der Wehretat wird deutlich erhöht. «Das bedeutet Kürzungen öffentlicher Leistungen in anderen Bereichen und höhere Steuern, also letztlich weniger Wohlstand», sagt Fuest.

«Inventur des fossilen Zeitalters»

Tempolimit, autofreie Sonntage, Heizung runterdrehen – die Liste der Vorschläge zum Sparen gegen die Energiekrise enthält wenig Neues. Kurzfristiges Reagieren allein dürfte ohnehin nicht ausreichen. Unter der Überschrift «Eine Inventur des fossilen Zeitalters» kommt in einem Beitrag der Max-Planck-Gesellschaft bereits im März 2020 der Kulturtheoretiker Benjamin Steiniger zu Wort: «Wir leben in Städten, die nur motorisiert zu erreichen sind, tragen Goretex und Nylon, ernähren uns mithilfe von Kunstdünger, sind auf Medikamente angewiesen – alles Dinge, die auf Erdöl, Gas und Steinkohle basieren. Konkret wie abstrakt ist unser Lebensstil auf eine Weise von fossilen Rohstoffen geprägt, die wir noch kaum durchdrungen haben.»

Moralische Erwägungen – etwa bei der Beschaffung von Gas und Öl aus autokratischen Staaten – seien in den vergangenen Jahrzehnten dem Konsum untergeordnet worden, meint der Politologe Philipp Lepenies. «Die neoliberale Markterzählung geht davon aus, dass der höchste Grad der Freiheit der der freien Konsumentscheidung ist», sagte der Leiter des Forschungszentrum für Nachhaltigkeit am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin im Sender SWR2. Auf einmal müssten sich Staat und Bürger «die Folgen des eigenen Konsums viel dramatischer klarmachen als je zuvor».

«Der dritte große Rückschlag für die Globalisierung»

Die «Globalisierungseuphorie» der 90er Jahre, wie Lepenies es nennt, ebbt ab. Jahrzehntelang profitierte Deutschland vom freien Welthandel, der den Zugang zu billigen Produkten und Rohstoffen ermöglichte. Das hielt neben anderen Faktoren die Inflationsraten auf vergleichsweise niedrigem Niveau. «Die meisten Dinge, die wir kaufen, werden inzwischen im Ausland hergestellt – harmlos ausgedrückt – zu Billiglöhnen und – weniger harmlos ausgedrückt – teilweise unter sklavereiähnlichen Bedingungen», sagte jüngst der aus der Modebranche stammende Buchautor Carl Tillessen.

Die Rahmenbedingungen für den Welthandel haben sich sehr verändert – nach Ansicht von Ökonomen nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. «Der Putin-Schock dürfte sich als der dritte große Rückschlag für die Globalisierung und die globalen Lieferketten in den letzten Jahren erweisen, nach dem Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Unterbrechungen der Lieferketten im Zusammenhang mit Covid», argumentiert die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS.

Produktion aus Billiglohnländern nach Deutschland zurückzuholen bedeutet tendenziell höhere Preise. Eine generelle Tendenz zur «Deglobalisierung» könnte die Güterströme verändern und dadurch die Verbraucherpreise nach oben treiben, schrieben Ökonomen der DZ Bank bereits im Mai 2021. Einen Preis für den Freiheitskampf der Ukraine zahlen somit auch die Menschen in Deutschland.

Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa