• Sa. Nov 23rd, 2024

Ungedeckte Schulden: Ist Russland wirklich zahlungsunfähig?

Russland droht die Zahlungsunfähigkeit. (Archivbild) (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Wenn ein Staat Schulden hat, werden darauf Zinsen fällig – und wenn ein Staat diese nicht zahlen kann, gilt er als zahlungsunfähig, mit oft dramatischen Folgen.

Ein solcher Fall droht nun auch Russland, zumindest auf dem Papier: Am Wochenende lief eine 30-Tage-Periode ab, innerhalb der Russland säumige Zinszahlungen noch leisten konnte, ohne einen Zahlungsausfall auszulösen. In der Realität ist die Lage jedoch weitaus komplizierter.

Wann ist ein Staat zahlungsunfähig?

Grundsätzlich gilt ein Staat als zahlungsunfähig, wenn er seine Schulden nicht mehr bedienen kann, also Probleme mit der Zinszahlung oder der Schuldentilgung hat. Normalerweise treten solche Probleme auf, wenn Staaten über ihre Verhältnisse Geld ausgegeben haben und überschuldet sind oder aus sonstigen Gründen an Kreditwürdigkeit eingebüßt und ein Liquiditätsproblem haben. Typische Beispiele sind die früheren Staatspleiten Argentiniens oder die Finanzprobleme Griechenlands während der Euro-Krise ab dem Jahr 2010. Mit dem Fall Russlands verhält es sich aber ganz anders.

Was ist so besonders am russischen Fall?

Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Mittel im In- und Ausland. Haupteinnahmequelle sind die großen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländische Währungen. Außerdem ist Russland im internationalen Vergleich nicht hoch verschuldet: Mit etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt die Schuldenquote deutlich niedriger als in vielen westlichen Industrieländern.

Warum hat Russland Probleme, seine Staatsschulden zu bedienen?

Wichtigster Grund sind die scharfen Finanzsanktionen, die überwiegend westliche Länder wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine verhängt haben. Die Sanktionen schließen Russland und seine Banken faktisch vom Finanzsystem aus, das von westlichen Staaten dominiert wird. Ein erheblicher Teil der im Ausland lagernden Finanzreserven Russlands ist außerdem durch Sanktionen blockiert. Und US-Banken ist es inzwischen verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzuleiten. Diese Beschränkungen machen es Russland nahezu unmöglich, seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen – obwohl die finanziellen Mittel eigentlich vorhanden wären.

Was tut Russland dagegen?

Fällige Zinsen auf Staatsanleihen zahlt Russland weiter – allerdings nicht in Dollar oder Euro, sondern in Rubel. Dafür hat das Land ein neues Verfahren über seine Zahlungsstelle NSD eingerichtet. Eigentlich sind Zinszahlungen bei Auslandsschulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen. Fachleute halten die Zahlung in der russischen Landeswährung daher für unzulässig. Hinzu kommt, dass die Zahlungen wegen der Sanktionen kaum an westliche Zahlungsstellen und damit an die westlichen Gläubiger weitergeleitet werden können.

Im aktuellen Fall bestreitet die russische Regierung nicht, dass Zinszahlungen nicht bei Gläubigern angekommen sind. Sie besteht aber darauf, diese geleistet zu haben und streitet einen Zahlungsausfall daher ab. Die Zahlung sei noch im Mai erfolgt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag der Agentur Interfax zufolge. Vom russischen Finanzministerium hieß es: «Im vorliegenden Fall haben die Investoren ihr Geld nicht wegen eines Zahlungsausfalls nicht erhalten, sondern wegen Handlungen Dritter.»

Wer stellt fest, ob Russland zahlungsunfähig ist?

Normalerweise ist das ein Fall für die Ratingagenturen. Die drei großen Bonitätswächter Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch werden von Staaten und Kreditgebern bezahlt, um die Kreditwürdigkeit von Schuldnern zu beurteilen. Im Falle Russlands sind sie aber außen vor, da Sanktionen der Europäischen Union es ihnen verbieten, die Finanzlage zu bewerten. Daneben gibt es das internationale Investoren-Komitee CDDC, das aus großen Banken besteht. Es entscheidet bei Zahlungsproblemen, ob Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig werden und die Käufer solcher Absicherungen Entschädigung erhalten. Ein solcher Fall kommt einem Zahlungsausfall und damit einer Staatspleite zumindest nahe.

Um welche Summen geht es?

Die Summen sind vergleichsweise klein. Beispielsweise hat Russland es vor ein paar Wochen versäumt, im Zuge einer nachträglichen Zinszahlung auch Verzugszinsen in Höhe von 1,9 Millionen US-Dollar zu zahlen. Genau genommen handelte sich bereits hier um einen Zahlungsausfall des russischen Staats. Bei den aktuellen Zinszahlungen geht es um deutlich höhere Summen, oft dreistellige Millionenbeträge. Gemessen an der Finanzkraft Russlands ist dies aber noch immer wenig. So werden die gesamten – teils blockierten – Devisenreserven durch die russische Zentralbank aktuell mit knapp 600 Milliarden Dollar angegeben.

Ist die Situation mit vergangenen russischen Staatspleiten vergleichbar?

Nein, die Ausgangslage ist eine ganz andere als bei Russlands vorherigem Staatsbankrott 1998. Damals waren die Ölpreise auf einem Tiefpunkt und die Deviseneinnahmen Russlands aus den Rohstoffexporten reichten nicht aus, um die Schulden zu bezahlen. Diesmal hat Moskau genug Geld und bekundet auch den Willen, seine Schulden zu tilgen.

Was wären die unmittelbaren Folgen einer Zahlungsunfähigkeit für Russland?

Da der Zahlungsausfall nicht mit akutem Geldmangel der russischen Regierung zu tun hat, sind die direkten Folgen erst einmal gering. Es ist nicht mit einer drastischen Rubelentwertung oder dem Kollaps des Bankensystems zu rechnen. Wird der Ausfall festgestellt, könnten Gläubiger von Russland aber die Rückzahlung aller Schulden verlangen – auch derer, die eigentlich noch nicht fällig sind.

Was wären die langfristigen Folgen einer Zahlungsunfähigkeit?

Die könnten für Russland durchaus problematisch sein. Neue Anleihen kann Russland nicht aufnehmen. Die durch die Sanktionen eingeleitete Isolierung Moskaus vom globalen Finanzmarkt wird gefestigt. Möglicherweise ist auch das Eigentum russischer Staatsunternehmen im Ausland bedroht, beispielsweise von Gazprom. Kläger könnten vor Gericht diesen Besitz als Gegenleistung für entgangene Zinszahlungen einklagen.

Von Bernhard Funck, dpa-AFX, und André Ballin, dpa