Trotz der schwachen Wirtschaft und kräftig gestiegener Zinsen sind in Deutschland erneut weniger Immobilien zwangsversteigert worden. Im ersten Halbjahr wurden Verfahren für 6248 Objekte eröffnet, zeigen am Montag veröffentlichte Zahlen des Fachverlags Argetra.
Im Vorjahreszeitraum waren es noch 6432 Häuser, Wohnungen und Grundstücke. Jedoch stieg der Verkehrswert der Immobilien wegen höherer Preise von 1,42 auf 1,66 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr seien viele Objekte mit Verkehrswerten von über einer Million Euro unter den Hammer gekommen, besonders in Berlin.
Die Argetra-Experten, die die Termine für Zwangsversteigerungen an allen knapp 500 Amtsgerichten in Deutschland analysiert haben, erwarten, dass bald mehr Menschen Immobilien zwangsversteigern müssen.
Die Zahl der Zwangsversteigerungen in Deutschland sinkt seit Jahren. Als Gründe gelten die lange Zeit gute Konjunktur und die Niedrigzinsen, die die Zinslast für Schuldner niedrig gehalten und die Nachfrage nach Immobilien angetrieben haben. Zudem boten Banken Kreditnehmern wegen der Corona-Pandemie an, Zahlungen zu stunden, statt Darlehen zu kündigen und Zwangsversteigerungen einzuleiten.
Deutlich mehr Privatinsolvenzen befürchet
Die Argetra-Fachleute glauben aber, dass sich die Situation ändert. «Eine schwache Konjunktur, sinkende Kaufkraft und hohe Inflation mit insbesondere stark steigenden Energie- und Mietpreisen werden im laufenden Jahr zu einem deutlichen Anstieg von Privatinsolvenzen führen», schreiben sie. Die Zahl der Zwangsversteigerungen dürfte im kommenden Jahr deutlich wachsen, da die Bearbeitungszeiten lang seien und die schwache Wirtschaft sich erst verzögert auswirke.
Dazu kämen höhere Zinsen. Viele Menschen schafften es nicht, ihren kompletten Immobilienkredit zur vereinbarten Zinsbindung in der Vertragslaufzeit abzubezahlen. «Die Anschlussfinanzierung durch einen neuen Kredit wird dann deutlich teurer. Viele Häuslebauer könnte das überfordern.» Die Bauzinsen haben sich seit Januar von 0,8 Prozent auf zuletzt rund 3 Prozent mehr als verdreifacht. Zuletzt hatten schon Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vor mehr Zwangsversteigerungen wegen der gestiegenen Zinsen gewarnt.
Objekte aus Zwangsversteigerungen gelten als begehrt, weil auf dem normalen Markt kaum noch bezahlbare Immobilien zu finden sind. Nur etwa die Hälfte der eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren endet Argetra zufolge im Gericht. Die anderen Immobilien würden schon vorher verkauft. Zwangsversteigert wurden laut Argetra vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen. Durchschnittlich waren bundesweit im ersten Halbjahr 15 von 100 000 Haushalten in Deutschland von Zwangsversteigerungen betroffen. Seit Jahren vorne bei der Zahl der Zwangsversteigerungen liegt Nordrhein-Westfalen.