Fluggäste können aufatmen: In einer Krisensitzung haben die Lufthansa und ihre Piloten am Dienstag einen erneuten Streik abgewendet. Die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit sagte den für Mittwoch und Donnerstag angekündigten Ausstand bei der Lufthansa-Kernmarke ab. Auch die Frachttochter Lufthansa Cargo, für die ein dreitägiger Streik geplant war, soll planmäßig fliegen können.
Bei den Verhandlungen unter hohem Zeitdruck wurde laut VC eine Teillösung erreicht. Das umfängliche Paket finanzieller und struktureller Themen sei im Kern vereinbart, müsse aber in den kommenden Tagen ausgestaltet werden, berichtete die Gewerkschaft, die mit ihrer Streikdrohung den Druck erhöht hatte.
Auch die Lufthansa äußerte sich zunächst nicht zu den am Dienstag in der Konzernzentrale am Frankfurter Flughafen erreichten Details. Die Absage des Streiks sei vor allem für Kundinnen und Kunden eine gute Nachricht, erklärte eine Sprecherin. «Unsere Flüge finden in den kommenden Tagen wie geplant statt. Wir freuen uns darüber, dass wir mit der Vereinigung Cockpit in konstruktiven Gesprächen eine Lösung erreichen konnten.»
Wichtige Themen auf das kommende Jahr vertagt
Dem Vernehmen nach wurden langfristig wichtige Themen auf das kommende Jahr vertagt. Im Hintergrund schwelte ein Grundsatzstreit über die Größe der Kerngesellschaft. Konzernchef Carsten Spohr hatte die Bereitschaft erkennen lassen, eine zwischenzeitlich aufgekündigte Flottenzusage wiederzubeleben. Hier soll ein Stillhalteabkommen vereinbart worden sein, hieß es in Verhandlungskreisen.
In dem Tarifkonflikt bleibt es demnach bei einem Streiktag. Am Freitag hatte Lufthansa den kompletten Betrieb der Kerngesellschaft gestrichen, nachdem die VC ihre Mitglieder zur ersten Streikwelle aufgerufen hatte. Rund 800 Flüge mit 130.000 Passagieren fielen aus. Dem Unternehmen zufolge entstand ein Schaden von rund 32 Millionen Euro.
Die Lufthansa ist derzeit auf ihre rund 5000 Stammpiloten besonders angewiesen. Pilotenmangel in den USA, Lieferschwierigkeiten insbesondere für Boeing-Flugzeuge und Ersatzteile sowie die perspektivisch wieder anziehende Nachfrage in Asien – die Zeit für hohe Gewinne scheint trotz des Energiepreisschocks in der Luftfahrt gerade günstig.
Spohr: Kommen mit der Produktion nicht hinterher
Die aufziehende Rezession auf dem Heimatmarkt will Spohr vor allem im Ausland ausgleichen. In den dollarstarken USA, aber auch in Indien verkauft die Lufthansa gerade massenhaft Tickets zu Höchstpreisen, so dass der im Frühjahr aufgenommene Gewinnkurs weiter gehalten werden kann.
Insgesamt erlebe das Unternehmen nach der Corona-Krise einen wahren Ansturm, berichtete Spohr am Montagabend. Streiks kann er dabei nicht gebrauchen. «Der Wunsch, unser Produkt zu erwerben ist so stark, dass wir mit der Produktion nicht hinterherkommen», sagte der Vorstandschef. Die Durchschnittserträge steigen, weil die Tickets zu deutlich höheren Preisen vermarktet werden können. Spohr bekräftigte das Ziel, im kommenden Jahr zwischen 85 und 90 Prozent des Vorkrisen-Niveaus anzubieten.
Ein zu schnelles Wachstum wie in diesem Jahr will die Lufthansa vermeiden und muss dabei Rücksicht auf die immer noch reduzierten Kapazitäten an ihren Drehkreuzen nehmen. An den Flughäfen fehlen Mitarbeiter, und die Abläufe haben sich in der Pandemie verkompliziert. Die Lufthansa selbst will bis Ende 2023 konzern- und weltweit rund 20.000 neue Mitarbeiter einstellen, davon rund 12.000 zusätzliche Kräfte. Zudem sind Milliarden-Investitionen in neue Flugzeuge, Ausstattung und IT geplant.
Die VC hatte zuletzt ihre Forderung nach einem automatisierten Inflationsausgleich aufgegeben und stattdessen eine jährliche Tariferhöhung um 8,2 Prozent ab 2023 verlangt- zusätzlich zu einer Erhöhung in diesem Jahr um 5,5 Prozent. Die Lufthansa hatte vor dem neuen Angebot pauschale Erhöhungen der Grundvergütung von 500 Euro zum 1. September 2022 und um 400 Euro zum 1. April 2023 angeboten. Das ergebe je nach bisherigem Gehalt Steigerungen zwischen 5 und 18 Prozent.
Erst im Juli hatte die Gewerkschaft Verdi mit einem Warnstreik des Bodenpersonals den Flugbetrieb der größten deutschen Fluggesellschaft für einen Tag nahezu lahmgelegt. Die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo will im Herbst für ihre Mitglieder verhandeln. Und bei der größten Tochter Eurowings haben die Piloten bereits für einen Arbeitskampf votiert. Verhandlungen stehen dort aber noch an.