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Start-ups im Umbruch: Ende der Goldgräberstimmung

Die Stimmung in der deutschen Gründerszene hat sich deutlich eingetrübt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa)

Ob Lebensmittel-Lieferanten, Finanzdienstleister oder Online-Händler: Viele Start-ups haben glänzende Zeiten hinter sich und in der Corona-Pandemie gute Geschäfte gemacht. Sie profitierten davon, dass sich das Leben nach drinnen verlagerte und die Digitalisierung einen Schub bekam. Viel wurde investiert.

«2021 war ein Rekordjahr für Investitionen in Start-ups aus Deutschland und Europa», sagt Heike Hölzner, Professorin für Entrepreneurship an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Finanzierungsrunden im hohen dreistelligen Millionenbereich waren im vergangenen Jahr demnach keine Seltenheit.

Doch seit dem Frühjahr hat sich die Stimmung am Markt gedreht. «Was wir jetzt erleben ist, dass der Preisaufschlag dieser Hochphase wegfällt», betont Hölzner. Im ersten Halbjahr 2021 seien bundesweit 7,6 Milliarden Euro in Start-ups investiert worden, sagt Thomas Prüver, Partner bei der Beratungsgesellschaft EY in Berlin. Im ersten Halbjahr dieses Jahres seien es hingegen nur sechs Milliarden Euro gewesen.

415.000 Mitarbeiter beschäftigt

Die Start-ups beschäftigen nach Angaben ihres Bundesverbands bundesweit rund 415.000 Menschen (Stand: 2021). Vor allem für die Hauptstadt ist die Branche wichtig: Circa 3400 Start-ups seien Hölzner zufolge im letzten Jahr bundesweit neu gegründet worden, mehr als 700 allein in Berlin.

Steigende Kosten und sinkende Nachfrage: Die Investoren schauten nun genauer hin, wo sie investierten, ergänzt Hölzner. Entscheidend sei, wie schnell ein Start-up seine Barmittel verfeuere, wie viel Geld es also braucht, um das Geschäft aufrecht zu erhalten und wie viel es davon wofür ausgebe – Profitabilität spiele für die Investoren nun eine größere Rolle.

«Wenn weniger Geld am Markt zur Verfügung steht oder einfach zurückhaltender investiert wird, dann verbessert das die Verhandlungsmacht der Investoren», sagt Hölzner. Die Start-ups bekämen weniger Kapital für vergleichbar hohe Anteile, das Kapital sei also teurer. Um länger damit auszukommen, müssten die Unternehmen Kosten sparen – etwa mit dem Abbau von Stellen.

Beispiel Gorillas

Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Lieferdienst Gorillas, der im Sommer 2021 vor allem durch die Kritik der eigenen Beschäftigten an den Arbeitsbedingungen viel Aufmerksamkeit bekam – aber auch durch eine rasante Nachfrage: «Die Zahl der Bestellungen von Gorillas ist von Januar bis Dezember 2021 um das 17-fache gestiegen», teilt eine Unternehmenssprecherin mit. Noch im Herbst erhielt das Start-up nach eigenen Angaben eine Finanzierung von einer Milliarde US-Dollar.

Doch in diesem Mai kündigte Gorillas plötzlich an, 300 Mitarbeiter vor allem in der Verwaltung zu entlassen, um Kosten zu sparen und langfristig profitabel zu werden. Fortan soll sich das Geschäft auf fünf Kernmärkte Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und die USA konzentrieren. Gorillas steht nicht alleine da: Auch dem Zahlungsdienstleister Klarna macht derzeit das schwächere Konsumklima zu schaffen. «Da wo weniger gekauft wird, verdienen auch Zahlungsdienstleister weniger Geld», erklärt Hölzner.

Einer neuen Studie des Bundesverbands Deutsche Start-ups zufolge blicken viele Start-ups inzwischen sogar pessimistischer in die Zukunft als im Corona-Krisenjahr 2020. Neben steigenden Energiepreisen und Zinsen sind auch die Kundinnen und Kunden zurückhaltender. Viele der Start-ups seien sehr schnell und kapitalintensiv gewachsen, um sich möglichst schnell einen großen Anteil an jungen Märkten zu sichern. Die Folge: Leute wurden zunächst eingestellt, nun müssen die Wachstumspläne auf Eis gelegt werden.

Abbau von Arbeitsplätzen

Der angekündigte Abbau von Arbeitsplätzen wie bei Gorillas oder beim E-Scooter-Anbieter Tier sei «etwas Normales in dieser Industrie», sagt Prüver von EY. Die Start-up-Szene in Berlin sei aber sehr stark diversifiziert. «Da ist eine Anfälligkeit gegenüber externen Marktveränderungen die wir jetzt haben zwar da, aber lange nicht mehr so extrem, wie es vielleicht vor zehn oder zwölf Jahren der Fall war.» In jeder Krise gebe es auch Unternehmen, die profitierten.

EY hat im Juli ein eigenes Start-up-Barometer veröffentlicht. Demnach sind es vor allem Energie-Start-ups, die derzeit viel Geld von Investoren einsammeln können – auch wenn die Summen im ersten Halbjahr noch nicht an die heranreichen, die im Jahr davor in Mobilität, Online-Handel und Finanzen geflossen sind. Auch Software- und Analyseprodukte stehen weiter hoch im Kurs.

Aus Hölzners Sicht gilt für die Start-ups der Rat, ihr Geschäftsmodell so umzubauen, dass sie mittelfristig tragfähig sein können. Sie geht davon aus, dass es bei Finanzdienstleistungen weiter engagierte Investoren geben werde.

Von Lena Lachnit, dpa