Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder rechnet im Tarifkonflikt bei der Bahn mit weiteren Warnstreiks. «Es sieht nicht danach aus, dass es ohne einen Warnstreik gelöst werden kann», sagte Schroeder der Deutschen Presse-Agentur kurz vor der nächsten Verhandlungsrunde ab Montag. Der Experte von der Universität Kassel verwies vor allem auf die hohe Inflation und eine auch durch den Arbeitskräftemangel erzeugte hohe Erwartungshaltung der Beschäftigten an das Verhandlungsergebnis. Zudem müsse stets die Konkurrenz der EVG mit der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) berücksichtigt werden.
Die EVG sei in den vergangenen Jahren in die Defensive geraten, «weil mit der GDL eine offensiv agierende, dynamische Gewerkschaft ihr den Schneid abgekauft hat und in der Öffentlichkeit das Bild entwickelt wurde, dass es sich bei der EVG um eine zu kooperative Gewerkschaft handelt», sagte Schroeder. Die EVG wolle nun mit einer härteren Verhandlungsführung deutlich machen: «Wir sind hier die starken, wir sind die dynamischen und wir machen eine so gute Politik, dass es überhaupt keinen Bedarf an einer zweiten Gewerkschaft innerhalb dieses Konzerns gibt».
Bahn und EVG verhandeln bereits seit Februar
Gleichzeitig verhalte sich auch die Deutsche Bahn bisher nicht sonderlich kooperativ. «Klar, der Bahn-Konzern ist in einer schwierigen Lage. Aber die wird nicht dadurch besser, dass man es auf dem Rücken der Beschäftigten versucht auszutragen», sagte Schroeder.
Die Bahn und die EVG verhandeln bereits seit Ende Februar über Tariferhöhungen. Vor allem zu Beginn liefen die Gespräche sehr zäh, auch jetzt liegen beide Seiten in vielen wichtigen Punkten noch recht weit auseinander.
Die Gewerkschaft fordert für gut 180.000 Beschäftigte mindestens 650 Euro pro Monat mehr oder zwölf Prozent bei den oberen Lohngruppen. Die Bahn bot zuletzt stufenweise zwölf Prozent mehr bei den unteren Lohngruppen an. Insgesamt zehn Prozent mehr sollen die mittleren Gruppen bekommen und acht Prozent die oberen. Die erste Erhöhung soll noch dieses Jahr kommen. Hinzu kommt eine ebenfalls stufenweise Zahlung von insgesamt 2850 Euro Inflationsausgleichsprämie. Die Laufzeit soll 24 Monate betragen. Die Gewerkschaft will lediglich 12 Monate Laufzeit, zudem ist ihr eine Tariferhöhung per Festbetrag statt Prozenten wichtig, um die unteren Einkommensgruppen besonders deutlich zu stärken.
Eine lange Vertragslaufzeit sei derweil für die DB wichtig, um «Planungssicherheit zu haben und zu verhindern, dass weitere Streiks die Bahn in ihrer Arbeitsweise behindern», sagte Schroeder. Zudem verfolge die DB-Führung die Strategie, dass sie über die Tarifpolitik nicht korrigieren könne, was nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegt, etwa die Preissteigerungen durch die hohe Inflation.
Forderungen der GDL haben «Latte hoch gehängt»
Aus Schroeders Sicht haben die am vergangenen Montag verkündeten Forderungen der GDL für ihre Tarifgespräche im Herbst eine Einigung zwischen EVG und DB erschwert, «weil mit dieser Forderung klar ist, die Latte ist sehr hoch gehängt. Und wenn die EVG sich jetzt frühzeitig auf den Kurs des Bahn-Managements einlassen würde, könnte einmal mehr der Eindruck entstehen, dass die EVG die nachgebende Gewerkschaft ist und die GDL die fordernde Gewerkschaft». Das würde dem Eindruck entgegen stehen, den die EVG in den letzten Wochen und Monaten erzeugen wollte, «nämlich deutlich zu machen, wir sind die Herren des Verfahrens und die starke Gewerkschaft innerhalb des Konzerns».
Die DB und die EVG gehen am Montag ab 14.00 Uhr in Berlin in ihre nächste Verhandlungsrunde, angesetzt sind fünf Verhandlungstage am Stück. Die GDL hat noch bis Ende Oktober eine Friedenspflicht mit der DB, danach beginnen dann ihre Verhandlungen für gut 8000 Beschäftigte bei dem Konzern.