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EU macht Weg frei für «grünen» Stahl: Milliarden-Beihilfen

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Jul 20, 2023 ,
Sogenannter bluemint Steel, nach Werksangaben ein Flachstahl mit reduzierter CO2-Intensität, steht auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die EU-Kommission hat den Weg frei gemacht für ein Klimaschutz-Vorzeigeprojekt der deutschen Stahlindustrie: Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen dürfen Thyssenkrupp beim Aufbau einer klimafreundlicheren Grünstahl-Produktion in Duisburg mit insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro unterstützen.

Deutschlands größter Stahlkocher will dort einen klassischen Hochofen, der viel klimaschädliches Kohlendioxid produziert, durch eine sogenannte Direktreduktionsanlage ersetzen. In der Anlage soll später erneuerbarer Wasserstoff zum Einsatz kommen. Die Kommission veröffentlichte die schon seit Monaten erwartete Beihilfe-Genehmigung am Donnerstag in Brüssel.

Ministerium: Bislang größtes Dekarbonisierungsprojekt

Es handele sich um das bislang größte Dekarbonisierungsprojekt in Deutschland, betonte das Bundeswirtschaftsministerium. «Es ist ein richtig guter Tag, der zeigt, dass das Industrieland Deutschland eine grüne Zukunft hat», sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Rande seiner Indienreise in Neu Delhi. Das Projekt beweise auch «die Standorttreue der energieintensiven Industrien, die sagen, wir wollen in Deutschland bleiben, wir wollen hier transformieren». Habeck betonte, dass man mit dem Vorhaben auch der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Europa «einen weiteren Push» gebe.

Die neue Anlage soll Ende 2026 in Betrieb genommen und anfangs mit Erdgas betrieben werden. Ab 2029 soll sie mit Wasserstoff laufen und so den Ausstoß von Treibhausgasen bei der Stahlerzeugung deutlich verringern. Das Baufeld wird schon vorbereitet, der Bau selbst hat aber noch nicht begonnen. Durchgeführt werden soll er durch den in Nordrhein-Westfalen ansässige Anlagenbauer SMS Group – für 1,8 Milliarden Euro.

Thyssenkrupp-Eigeninvestitionen bei knapp einer Milliarde Euro

Thyssenkrupp will knapp eine Milliarde Euro an Eigenmitteln investieren, wie das Unternehmen am Donnerstag berichtete. Für die Stahlsparte von Thyssenkrupp arbeiten in Duisburg rund 13.000 Menschen. Nach früheren Angaben will das Unternehmen in den kommenden Jahren auch die anderen drei Hochöfen seines Stahlwerks durch Direktreduktionsanlagen ersetzen. Spätestens 2045 soll die Stahlproduktion von Thyssenkrupp komplett klimaneutral sein.

In der Anlage ersetzt erneuerbarer Wasserstoff die in klassischen Hochöfen verwendeten Kohle und Koks, um dem Eisenerz Sauerstoff zu entziehen. Anders als Hochöfen produzieren Direktreduktionsanlagen kein flüssiges Roheisen, sondern festen Eisenschwamm. Damit dieser zu Stahl weiterverarbeitet werden kann, muss er erst eingeschmolzen werden. Dies soll in zwei sogenannten Einschmelzern geschehen. Anschließend kann das Roheisen auf den bislang üblichen Wegen weiterverarbeitet werden.

Große Erleichterung

Obwohl die Entscheidung erwartet worden war, äußerten sich alle Beteiligten erleichtert: Der Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, Bernhard Osburg, sagte: «Damit können wir auch international demonstrieren, dass Fortschritt, Wohlstand und Klimaschutz keine Widersprüche sind.» IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner nannte die Entscheidung eine «sehr gute Nachricht für die Beschäftigten bei Thyssenkrupp und darüber hinaus für den gesamten Industriestandort Deutschland». Kerner ist auch stellvertretender Aufsichtsratschef des Mutterkonzerns Thyssenkrupp.

«Das ist eine einzigartige Chance auf langfristige Perspektiven für Wertschöpfung, internationale Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt guter Arbeitsplätze», erklärte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) sprach von einem «entscheidenden Tag» für die Zukunft des Stahlstandorts NRW, für den Erhalt einer industriellen Kernbranche und für die Sicherung Zehntausender Arbeitsplätze. Das Land NRW beteiligt sich mit bis zu 700 Millionen Euro an dem Projekt.

Stahlindustrie für hohen CO2-Ausstoß verantwortlich

Bei der klassischen Stahlherstellung in kohlebasierten Hochöfen entstehen sehr große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid. Thyssenkrupp Steel ist nach früheren Angaben für rund 2,5 Prozent des bundesweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, die deutsche Stahlindustrie für rund sieben Prozent. Mit der neuen Anlage können laut Unternehmen jährlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Auch andere Stahlhersteller wie Salzgitter und Arcelormittal wollen Direktreduktionsanlagen in Deutschland bauen.

Beihilfen für Anlagenbau und Wasserstoffbeschaffung

Die Beihilfen für Thyssenkrupp sind laut EU-Kommission zweigeteilt. Zum einen sollen mit Zuschüssen von bis zu 550 Millionen Euro Bau und Montage der Anlage unterstützt werden. Anfangs soll zwar noch Erdgas für den Betrieb verwendet werden, doch das Gas soll bis 2037 vollständig durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt und somit klimafreundlicher werden.

Mit den restlichen bis zu 1,45 Milliarden Euro der Beihilfen soll ein Mechanismus finanziert werden, der in den ersten zehn Jahren des Betriebs der neuen Anlage Mehrkosten decken soll. Konkret geht es dabei um Kosten, die bei der Beschaffung und Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff anstelle von CO2-arm produziertem Wasserstoff anfallen würden.

Große Mengen Wasserstoff für Betrieb nötig

Wird die neue Anlage mit Wasserstoff betrieben, rechnet Thyssenkrupp mit einem jährlichen Verbrauch von 143.000 Tonnen nur durch diese Anlage. Diese Menge hat umgerechnet einen Energiegehalt von knapp 4,8 Terawattstunden. Zum Vergleich: Aktuell werden in Deutschland pro Jahr rund 55 Terawattstunden Wasserstoff verbraucht, der vor allem aus Erdgas hergestellt wird. Die Bundesregierung rechnet in den kommenden Jahren mit einem stark steigenden Wasserstoffbedarf. Er soll vor allem mit Hilfe von erneuerbarem Strom aus Wasser hergestellt werden.

Thyssenkrupp selbst will das Gas für seine neue Anlage von mehreren Lieferanten beziehen. Bereits seit mehreren Jahren arbeite man am Aufbau einer Lieferinfrastruktur, hieß es. Bis 2027 soll das Werk an ein überregionales Wasserstoffnetz angeschlossen sein.

Von Helge Toben und Marek Majewsky, dpa