Deutliches Produktionsplus, üppige Gewinne im Tagesgeschäft, viele neue Modelle in der Pipeline: Die Lage der deutschen Autokonzerne scheint heiter. Die Premiumanbieter BMW und Mercedes haben in diesem Jahr gar ihre Finanzziele für die Gewinne erhöht. Die stockenden Lieferströme bei wichtigen Einzelteilen wie Elektronikchips scheinen fast vergessen.
Doch unter der Haube offenbaren sich vor Beginn der Auto- und Verkehrsmesse IAA in München zahlreiche Probleme. Schon im Binnenverhältnis von Autobauern und Zulieferern rumpelt es: Die Hersteller fahren hohe Gewinne ein, ihre meist mittelständischen Teilelieferanten müssen sie dagegen teils mit Finanzhilfen über Wasser halten.
Umso ungelegener kommt der Gegenwind im wichtigsten Automarkt China, wo sich das Geschäft mit Macht in Richtung Elektroantriebe verschiebt. Weil etwa Volkswagen mit seinen E-Autos in der Volksrepublik nur schwer in die Gänge kommt, verloren die Wolfsburger mit ihrer Kernmarke VW Pkw kürzlich ihre seit Jahrzehnten gehaltene Marktführerschaft.
Experte: Abwarten ist keine Option
«Mit dem Verbrennergeschäft in China haben die deutschen Autobauer traditionell ihr Geschäft in anderen Bereichen der Welt alimentiert – aktuell werden sie daher kalt erwischt durch die Situation in China», sagt Philipp Kupferschmidt, verantwortlich für die Autobranche bei der Unternehmensberatung Accenture in Deutschland. «In der Wahrnehmung der Kunden haben die deutschen Autobauer bei Software und Technik ein Defizit.»
Nach Ansicht des Experten ist Abwarten keine Option, auch wenn sich der «ruinöse Preiskampf bei Batterieautos» in China in den kommenden Jahren über eine Konsolidierung abschwächen dürfte. «Alleine werden es die deutschen Autobauer nicht schaffen können, es gibt keine andere Option, als Partnerschaften einzugehen, um sich die mangelnde Kompetenz ins Haus zu holen und schnell entsprechende Sprünge zu machen», sagt Kupferschmidt. «Es ist ungeschickt, in der derzeitigen Wachstumsphase nicht mit guten Produkten am Markt vertreten zu sein.»
Volkswagen geht diesen durchaus schmerzlichen Schritt gerade. Um schneller aussichtsreiche Elektromodelle auf die Straße zu bekommen, entwickeln die Wolfsburger zusammen mit dem lokalen E-Autobauer Xpeng nun gemeinsame Modelle, auf Basis chinesischer Technik. Auch die Ingolstädter Tochter Audi will in China ihre Bande mit Partnern vertiefen, weil es nicht rund läuft.
Chinesische Hersteller drängen nach Europa
Mercedes musste spät im vergangenen Jahr seine Preise für das Elektroflaggschiff EQS senken – der Aktienkurs der Schwaben brach empfindlich ein. Auch wenn es im Premiumbereich noch besser läuft als im Massengeschäft zeigt das: Selbst die deutschen Nobelmarken sind in China nicht mehr unverwundbar.
Die chinesischen Hersteller drängen mit fortschreitender Elektronachfrage auch verstärkt auf den europäischen Markt. Das wird auch auf der IAA sichtbar sein, traditionell die Hausmesse der deutschen Automarken. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Marktforscher Center Automotive Research wittert bereits «die IAA der Chinesen» und eine «Zeitenwende, die Europa zum interessanten Markt für chinesische Elektroautos macht».
Kampf um Marktanteile
Die Messe sei der Start für den Kampf um Marktanteile auf dem Kontinent. Der chinesische Marktführer BYD werde in diesem Jahr weltweit rund 2,5 Millionen Fahrzeuge herstellen und verkaufen – das ist das Niveau von BMW und Mercedes. Weil BYD nur Elektroautos baut, komme der Hersteller in den Genuss von Größenvorteilen wie Elektroplatzhirsch Tesla, schreibt Dudenhöffer.
Accenture-Experte Kupferschmidt sieht die Avancen der Chinesen auf dem für sie fremden Terrain eher gelassen. «Der Unterschied zwischen einem chinesisch produzierten E-Auto und einem deutschen liegt bei durchschnittlich 20.000 Euro im Gesamtpreis», räumt der Fachmann zwar Kostenvorteile der Chinesen ein. «Aber in Deutschland werden die chinesischen Hersteller auch höhere Preise als in China verlangen. Der Preisunterschied wird nicht gigantisch sein.»
Softwarekompetenz statt Spaltmaß
Vielmehr müsse sich die deutsche Autobranche Gedanken darum machen, mit welchen Produkten sie am Ende bestehen könne. «Der nächste Exportschlager der deutschen Autoindustrie muss die Softwarekompetenz sein und nicht das vielzitierte Spaltmaß», rät er. «Wenn wir wegwollen von den Blechbiegern zu software- und datengetriebenen Unternehmen, bedeutet das einen kulturellen Wandel in Kompetenzen und Fähigkeiten, wir müssen ausbilden und schulen – und da haben wir alle Voraussetzungen.»
Die konjunkturelle Lage im Heimatmarkt Deutschland und Europa liefert der Branche in der näheren Zukunft wohl eher keinen Rückenwind, unter anderem wegen Inflation und höheren Zinsen. Der Auftragseingang macht bereits Sorgen, auch wenn die Orderbücher aus der Pandemie teils noch gut gefüllt sind.
Vor allem im Zukunftsgeschäft mit Elektroautos gibt es Sorgenfalten, zuletzt wurde etwa bei VW in Emden die Produktion gedrosselt. Eigentlich haben die Autobauer von niedrigem Niveau aus auch dieses Jahr wieder kräftige Zuwächse eingeplant. Doch die Förderung soll zuerst für Unternehmen, dann auch für Private weiter beschnitten werden. Wenn die sogenannte Umweltprämie für gewerbliche Zulassungen ab September gestrichen wird, erwartet Experte Dudenhöffer «traurige Monate».