• Fr. Nov 22nd, 2024

Wirtschaft in Not: «Keine Wachstumsimpulse in Sicht»

Aktienhändler verfolgen die Kursentwicklung auf ihren Monitoren im Handelssaal der Deutschen Börse. Deutschlands Börsenschwergewichte bekommen die weltweite Konjunkturschwäche und die hohen Energiepreise in Deutschland zunehmend zu spüren. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Boris Roessler/dpa)

Deutschlands Börsenschwergewichte spüren trotz jüngster Umsatzrekorde zunehmend Gegenwind. Das Wachstum schwächte sich im zweiten Quartal ab und lag in der Summe unterhalb der Inflationsrate, wie aus einer Auswertung des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY hervorgeht.

Die zweite Jahreshälfte dürfte für die Dax-Konzerne noch schwieriger werden, erwartet Henrik Ahlers, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung Deutschland. «Wachstumsimpulse sind nicht in Sicht.» Zudem werde das geringe Umsatzwachstum von der nach wie vor hohen Inflation mehr als aufgezehrt, «so dass wir es de facto vielfach bereits mit einem Minuswachstum zu tun haben.»

Im zweiten Quartal stieg der Umsatz der Dax-Konzerne der Auswertung zufolge gegenüber dem Vorjahreszeitraum zusammengerechnet um 1,1 Prozent auf rund 446,2 Milliarden Euro und damit auf den höchsten Wert in einem zweiten Vierteljahr seit Beginn der Auswertung 2014. Das operative Ergebnis der 40 Unternehmen verbesserte sich in der Summe um 2,7 Prozent auf knapp 40,5 Milliarden Euro – es war der zweithöchste Wert in einem zweiten Quartal. 22 Unternehmen steigerten ihren Gewinn, 18 Firmen meldeten dagegen einen Rückgang.

Produktionsverlagerung ins Ausland?

Immer drängender wird nach Einschätzung Ahlers das Kostenproblem am Standort Deutschland: «Gerade die hohen Energiepreise führen dazu, dass Investitionen aufgeschoben werden und über eine Verlagerung der Produktion ins Ausland nachgedacht wird.» Hinzu kämen komplexe und langwierige Genehmigungsverfahren. «Von einem Bürokratieabbau ist nichts zu sehen.»

Wirtschaftsverbände warnen bereits vor einer schleichenden Deindustrialisierung, da Unternehmen etwa wegen hoher Energiekosten ihre Produktion ins Ausland verlagern könnten. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass Deutschland die einzige Volkswirtschaft unter mehr als 20 untersuchten Staaten und Regionen ist, in der die Wirtschaftsleistung dieses Jahr leicht sinken wird. Rufe nach einem staatlichen Konjunkturprogramm wurden zuletzt lauter.

Frühjahrsbelebung fiel aus

Die deutsche Wirtschaftsleistung war im Winter zwei Quartale in Folge jeweils gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Die erhoffte Frühjahrsbelebung fiel aus, im zweiten Vierteljahr 2023 stagnierte das Bruttoinlandsprodukt nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Hinzu kommt die Schwäche des für viele Exporteure wichtigen chinesischen Marktes.

Zuletzt hatten vor allem Chemieunternehmen von einer gesunkenen Nachfrage berichtet und ihre Erwartungen nach unten korrigiert. Die deutschen Autokonzerne profitierten im zweiten Quartal hingegen vom nachlassenden Chipmangel bei hohen Preisen. Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW glänzten den Daten zufolge mit operativen Gewinnen von teils deutlich mehr als fünf Milliarden Euro und schoben damit die Gesamtbilanz der Dax-Konzerne an. Auch die Deutsche Telekom zählte mit 5,2 Milliarden Euro zu den Topverdienern.

«Aber auch der Automobilbranche weht der Wind zunehmend ins Gesicht», sagte EY-Partner Mathieu Meyer. Angesichts der hohen Inflation, zunehmender Konjunktursorgen und gestiegener Zinsen sinke die Kaufbereitschaft bei Kunden.

Beschäftigtenzahl zumeist gestiegen

Trotz der schwachen Konjunkturlage halten die Unternehmen bislang in der Summe an ihrer Belegschaft fest. Zum 30. Juni waren fast 3,8 Millionen Menschen bei den insgesamt 35 Dax-Konzernen beschäftigt, die dazu Angaben machten. Das waren rund 43.000 oder 1,2 Prozent mehr als zum Vorjahreszeitpunkt. Nur zwölf Unternehmen meldeten eine niedrigere Beschäftigtenzahl als im Vorjahr. Meyer rechnet auch nicht mit massiven Einschnitten. «Allerdings wird man vorerst deutlich vorsichtiger bei Neueinstellungen sein.»

Von Friederike Marx, dpa