Wie man es dreht und wendet: Die jüngsten Konjunkturdaten machen kurzfristig wenig Hoffnung für die deutsche Wirtschaft. «Die deutsche Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal 2023 etwas schrumpfen», schreibt die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht September. Konsumflaute, Exportschwäche, hartnäckig hohe Inflation: Reihenweise schraubten Wirtschaftsforschungsinstitute zuletzt ihre Erwartungen für das Gesamtjahr herunter, ein Absturz der größten Volkswirtschaft Europas in die Rezession scheint unausweichlich.
Stimmt es also doch, das Unken über Deutschland als «kranker Mann Europas»? Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sagte jüngst dem «Handelsblatt», er halte das für «eine Fehldiagnose»: «Wir sollten uns „Made in Germany“ nicht kleinreden lassen.»
Bundesbank: Deutsche Wirtschaft insgesamt noch gut aufgestellt
Nun legt die Bundesbank im Monatsbericht nach: «Noch zeigt sich die deutsche Wirtschaft insgesamt gut aufgestellt.» Dank Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland halte sich die Auswirkungen der Alterung der deutschen Gesellschaft auf den Arbeitsmarkt bislang in Grenzen.
Den Schock extrem gestiegener Energiepreise infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine habe die Industrie «dank guter Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse und temporärer staatlicher Hilfen insgesamt recht gut» abgefedert. Das Fazit der Bundesbank-Ökonomen: «Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist trotz der verschiedenen Belastungen im Mittel noch eher günstig.» Zudem sei der Arbeitsmarkt «trotz des aktuell gedämpften wirtschaftlichen Umfelds bis zuletzt stabil» geblieben.
Aber «breiter Handlungsdruck»
Doch die Bundesbank lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass viel passieren muss, um den Standort Deutschland attraktiv zu halten: Es gebe «definitiv Handlungsdruck». Die Liste der Aufgaben ist lang: Bezahlbare Energie und Umbau der Wirtschaft angesichts des Klimawandels, Digitalisierung und schnellere Genehmigungsverfahren etwa bei der Integration ausländischer Fachkräfte oder der Umsetzung von Investitionen. Und: Abhängigkeiten verringern – zum Beispiel bei der Lieferung wichtiger Rohstoffe oder der Produktion in China.
«Der Staat kann zur Attraktivität des Standorts Deutschland beitragen, indem er für geeignete Rahmenbedingungen sorgt», schreibt die Bundesbank fast lapidar. «Die Politik unternimmt gegenwärtig einige Schritte in diese Richtung. Diese müssen allerdings auch umgesetzt und fortgeführt werden.»
Politik muss Standort Deutschland stärken
Im Klartext: Statt Hakeleien zwischen SPD, Grünen und FDP wird eine Bundesregierung gebraucht, die Deutschland mit Tempo umbaut. «Es gilt jetzt wirtschaftspolitisch diejenigen Standortfaktoren zu stärken, die man selbst in der Hand hat – Stichwort Bildung, Infrastruktur, Bürokratie, Abgabenquote – und so auch für ausländische Fachkräfte attraktiver zu werden», mahnte jüngst der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), Stefan Kooths. «Der Wettbewerb um die Talente der Welt wird damit härter – umso wichtiger wird eine wachstumsstärkende Politik, die den Standort für qualifizierte Zuwanderung und Investitionen attraktiver macht.»
Mit ihrem 10-Punkte-Plan von Meseberg hat die Bundesregierung nach Ansicht der Bundesbank eine Schritt in die richtige Richtung gemacht, die Beschlüsse seien aber «für die Bewältigung der Herausforderungen noch nicht ausreichend». Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Wirtschaft zudem mit einem «Deutschland-Pakt» ankurbeln: durch schnellere Genehmigungsverfahren etwa auf dem Bau, Steuererleichterungen für Unternehmen, eine digitalere Verwaltung und beschleunigte Verfahren bei der Einwanderung von Fachkräften.
«Deutschland-Pakt und europäische Initiativen zum Bürokratieabbau gehen zwar in die richtige Richtung, die Vorhaben könnten aber ambitionierter sein und sie müssen vor allem so konsequent angegangen werden, dass die Förderungen und Entlastungen auch schnell und spürbar bei den Unternehmen ankommen», mahnte in der vergangenen Woche DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.
Langer Atem notwendig
Ein Problem der Exportnation Deutschland: Neue Beziehungen zu Rohstofflieferanten und Handelspartnern knüpfen sich nicht über Nacht. Fast die Hälfte der Industrieunternehmen hierzulande ist nach Bundesbank-Angaben auf kritische Vorprodukte aus China angewiesen. 80 Prozent davon hielten einen Ersatz aus anderen Ländern für schwierig.
Auch seine Energieversorgung muss Deutschland grundsätzlich neu aufstellen – ein langwieriger Kraftakt. Immerhin: Hinweise für eine breit angelegte Deindustrialisierung hierzulande wegen des Anstiegs der Energiekosten sieht die Bundesbank bislang nicht.
Viele Konjunkturprognosen gehen inzwischen davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Gesamtjahr 2023 im Minus landen wird. Wie es aussieht, brauchen Unternehmer und Verbraucher einen langen Atem. Das Bundeswirtschaftsministerium prognostizierte Mitte September: «Frühestens zum Jahreswechsel 2023/24 ist mit einer spürbaren konjunkturellen Belebung zu rechnen.»