Glyphosat wird in hohen Mengen in der Landwirtschaft gegen Unkraut eingesetzt. Absehbar soll das in der EU auch so bleiben. Von Umweltverbänden und aus der Wissenschaft kommt teils deutliche Kritik an dem Mittel. Doch was hat es damit auf sich?
Worüber entscheiden die EU-Institutionen?
Es geht um den Vorschlag der EU-Kommission, dass Glyphosat weitere zehn Jahre in der EU genutzt werden darf. Hätte diesen Freitag eine qualifizierte Mehrheit grünes Licht für dieses Vorhaben gegeben, hätte einer erneuten Zulassung durch die EU-Kommission nichts mehr im Weg gestanden. Weil sich aber keine ausreichende Mehrheit gefunden hat, geht der Streit nun in die nächste Runde.
Wie wirkt Glyphosat?
Das Unkrautbekämpfungsmittel wirkt auf fast alle Grünpflanzen und hat ein so breites Spektrum wie kaum ein anderer Pflanzenvernichter. Die Substanz kommt in der Natur nicht vor. Sie blockiert in den Gewächsen ein Enzym, das diese zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren benötigen. Es kommt in Pilzen und Mikroorganismen ebenfalls vor, nicht jedoch bei Tieren und Menschen. Glyphosat wird nicht über die Wurzeln, sondern über grüne Bestandteile wie die Blätter aufgenommen. Der Stoff verteilt sich und bewirkt, dass eine Pflanze vollständig verwelkt und abstirbt. Wo Glyphosat versprüht wird, wächst kein Gras mehr. Und auch kein Kraut, Strauch oder Moos.
Wie viel Glyphosat wird eingesetzt?
Der frühere US-Hersteller Monsanto, der nun zum Bayer-Konzern gehört, führte das Mittel 1974 unter dem Handelsnamen «Roundup» ein. Heute macht die Substanz nach Angaben der Glyphosate Renewal Group – eines Zusammenschlusses von Unternehmen, die das Mittel vertreiben – rund 25 Prozent des weltweiten Herbizidmarktes aus. In Deutschland wurden nach jüngsten Zahlen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Jahr 2021 knapp 4100 Tonnen abgesetzt.
Nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft findet Glyphosat in Europa zu etwa 40 Prozent im Obst-, Gemüse- und Weinbau Anwendung, gefolgt von Getreidebau (etwa 20 Prozent). Spanien, Italien und Frankreich haben demnach im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien einen doppelt bis fünffach höheren Verbrauch.
Wo kommt das Mittel zum Einsatz?
Der weitaus überwiegende Teil entfällt in Deutschland auf die Landwirtschaft. Es wird aber auch im Gartenbau eingesetzt. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes kommt Glyphosat auf rund 37 Prozent der Ackerflächen zum Einsatz. Damit sollen die Felder vor oder kurz nach der Aussaat und erneut nach der Ernte unkrautfrei gehalten werden. Während der Wachstumszeit der Nutzpflanzen kommt Glyphosat nicht zum Einsatz, da auch diese sonst absterben würden. Über Jahre wurde Glyphosat auch entlang von Schienen angewendet, darauf verzichtet die Deutsche Bahn aber seit 2023.
Warum setzen Landwirte auf das Mittel?
Bauern wollen mit dem Unkrautvernichter Kräuter und Gräser bekämpfen, die mit den Nutzpflanzen um Raum, Wasser, Nährstoffe und Sonnenlicht konkurrieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitteln wirkt Glyphosat unter praxisüblichen Anwendungen nicht über den Boden nach. Wenn Landwirte auf die Unkrautbekämpfung per Pflug verzichten können, sparen sie bei Arbeitszeit und Maschinenkosten. Die Glyphosate Renewal Group und der Deutsche Bauernverband weisen darauf hin, dass sich beim Pflügen die CO2-Emissionen und der Verbrauch fossiler Brennstoffe erhöhen könnte. Auch führe das Pflügen zu einem unerwünschten Verlust von Bodenmaterial und zur Zerstörung von Kleinstlebewesen, die für die Humusbildung essenziell seien.
Wo begegnet Verbrauchern Glyphosat?
Direkt im eigenen Garten und indirekt im Supermarkt. Für Beete und Rabatten gibt es Pflanzenschutzmittel, in denen Glyphosat steckt. Wegen des Einsatzes in der Landwirtschaft finden sich auch Spuren des Wirkstoffs in Nahrungsmitteln – und zwar nicht nur in denen, die direkt vom Feld kommen. Über Futtermittel kann es etwa ins Fleisch gelangen, erklärt die Verbraucherzentrale Hamburg. Auch in anderen Produkten wie Bier wurde schon Glyphosat entdeckt. Die Menge sei aber unbedenklich, schreibt etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung. Wer kein Glyphosat konsumieren will, sollte zu Bio-Produkten greifen.
Wo darf Glyphosat verwendet werden?
Grundsätzlich dürfen chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel nur auf Flächen in Landwirtschaft, Gartenbau und Forstwirtschaft eingesetzt werden. In Naturschutzgebieten, Nationalparks, öffentlichen Parks und Gärten, Sportplätzen, Schulgeländen und Spielplätzen ist die Anwendung genauso verboten wie in der Regel auf befestigten Flächen wie Fußsteigen oder Einfahrten. Generell glyphosatfrei ist der ökologische Landbau. Allerdings kann ungünstiger Wind die Substanz auf die Felder von Bio-Bauern tragen.
Warum ist Glyphosat aus Umweltaspekten umstritten?
Durch weniger Wildpflanzen auf und neben den Feldern gibt es geringeren Lebensraum für Insekten und Feldvögel. Das schadet auch der Landwirtschaft selbst, denn deren Erträge hängen maßgeblich von bestäubenden Insekten ab. Und das Herbizid findet sich letztlich in der gesamten Nahrungskette – bis hin zu Säugetieren.
In den vergangenen Jahren haben Untersuchungen wiederholt Hinweise darauf ergeben, wie Glyphosat auf Honigbienen wirkt – etwa auf die kognitiven Fähigkeiten oder auf das Immunsystem. Eine Studie der Universität Konstanz kommt zu dem Schluss, dass Glyphosat die Lernfähigkeit von Hummeln beeinträchtigt, was ihre Fortpflanzungs- und Überlebenschancen verringere.
Ist Glyphosat krebserregend?
Darum kreist seit Jahren eine Debatte. Die Internationale Agentur für Krebsforschung, ein Gremium der Weltgesundheitsorganisation, stuft das Mittel 2015 als «wahrscheinlich krebserregend beim Menschen» ein. Das bedeutet, dass eine Krebsgefahr grundsätzlich möglich ist. In diese Kategorie fällt aber genauso rohes und verarbeitetes Fleisch.
Im Gegensatz dazu schrieb etwa die Europäische Chemikalienagentur erst 2022 erneut, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht genügten, um Glyphosat als krebserregenden, genverändernden oder fortpflanzungsgefährdenden Stoff einzustufen. Auch kommen unter anderen die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit, das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung und die US-Umweltbehörde EPA zu einem solchen Schluss. Genauso weist Glyphosat-Hersteller Bayer den Verdacht zurück, dass der Unkrautvernichter krebserregend sei. Dennoch ist der Konzern in den USA mit zahlreichen Klagen konfrontiert. Bayer musste in bestimmten Fällen hohen Schadenersatz zahlen, hat andererseits aber auch Prozesse gewonnen.
Was bedeutet eine Verlängerung der Zulassung für das trotzdem geplante Verbot in Deutschland ab 2024?
Dass dies schwieriger werden könnte. Grundsätzlich können einzelne EU-Staaten nach Angaben der EU-Kommission eigene Regeln erlassen, wie glyphosathaltige Produkte genutzt werden dürfen. So hat Luxemburg die Verwendung von Glyphosat verboten. Die Entscheidung wurde aber gerichtlich gekippt, unter anderem weil Luxemburg das Verbot nicht ausreichend begründet hatte. Ein Selbstläufer wäre ein rein deutsches Verbot also nicht.
«Auch wenn sich der rechtliche Kontext in Luxemburg nur bedingt übertragen lässt, heißt das, dass die Bundesregierung nur gut begründet in bestimmten Anwendungsbereichen ein Glyphosatverbot erlassen kann, damit es den Gerichten standhält», so die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus. Eine Möglichkeit sieht sie darin, bestehende Einschränkungen etwa für Wasserschutzgebiete, Kleingärten und Spielplätze zu verlängern und auszuweiten.
Was sagen Umweltverbände zur EU-Entscheidung?
Die sind auf den Barrikaden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz etwa spricht von einer «Katastrophe für Mensch und Artenvielfalt». Für den WWF ist die Empfehlung der EU-Kommission Zeichen eines Systems, in dem kurzfristiger Profit dem nachhaltigen Wandel der Landwirtschaft im Weg steht. Auch für Eva Corral von Greenpeace ist der Fall klar. Die europäischen Regierungen sollten den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt über die privaten Geschäftsinteressen von Unternehmen stellen, meint sie.
Was sagen Hersteller zur anstehenden EU-Entscheidung?
Bayer sieht kein Problem für Mensch oder Umwelt in einer Erneuerung der Zulassung. Glyphosat sei nicht krebserregend, und auch andere Methoden wie das Pflügen der Böden oder Abflämmen von Unkraut in der Landwirtschaft schadeten der Biodiversität. Studien über die Gefahren von Glyphosat für Bienen seien nicht unter realistischen Bedingungen durchgeführt worden, so Bayer. Realistisch sei aber, dass Landwirte ohne Glyphosat zur Bekämpfung von Unkraut auf andere zugelassene Herbizide umstiegen, die umweltschädlicher als Glyphosat seien.
Auch die Glyphosate Renewal Group begrüßte die Empfehlung der Kommission. Der weitere Einsatz würde es Landwirten ermöglichen, Unkräuter wirksam zu bekämpfen und zu einer sichereren Lebensmittelversorgung beitragen zu können.
Wie geht es weiter?
Die Kommission strebt nun in einem Berufungsausschuss eine qualifizierte Mehrheit für eine Wiederzulassung an. Die Entscheidung soll im November getroffen werden. Wenn die Kommission genug Mitgliedsstaaten von ihrem Vorhaben überzeugen kann, stünde einer Erneuerung der Zulassung nichts mehr im Weg. Anders sähe es aus, wenn sich der Ausschuss mehrheitlich gegen die Erneuerung ausspricht. Gibt es keine Mehrheit für oder gegen die erneute Zulassung, müsste die Kommission eigenständig entscheiden. Eine sogenannte qualifizierte Mehrheit kommt zustande, wenn sich mindestens 55 Prozent der EU-Staaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für oder gegen das Vorhaben aussprechen.