Wirtschaftsminister Robert Habeck will die deutsche Industrie aufpäppeln – und setzt dabei auch auf viel Geld vom Staat. Ziel sei es, die Industrie in ihrer ganzen Vielfalt zu erhalten, vom Weltkonzern bis zum Kleinbetrieb, vom Maschinenbau bis zur Raumfahrt, formuliert der Grünen-Politiker in einem am Dienstag vorgelegten Strategiepapier. Bisherige finanzpolitische Spielregeln wie die Schuldenbremse müssten dafür überdacht werden. Mit Finanzminister Christian Lindner (FDP), der anderer Meinung sein dürfte, ist der Aufschlag nicht abgesprochen.
Schon im vergangenen Herbst hatte Habeck ein Jahr der Industriepolitik ausgerufen. Das zeigte sich bisher vor allem in Milliardenförderungen für Chipfabriken. Jetzt unterlegt der Grünen-Politiker das Ganze strategisch. Die Analyse: Die deutsche Wirtschaft habe eine gute Struktur, aber aktuell schlechte Bedingungen. «Wir tun aus meiner Sicht noch nicht genug», sagte Habeck. Die oppositionelle Union sieht das ganz anders: «Der Staat versteht sich nach Herrn Habeck als wohlmeinender Dressurmeister über die Wirtschaft», kritisierte Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner.
Großkonzerne und Mittelstand gleichermaßen im Blick
Die Branche jedoch reagierte vorwiegend positiv. Das dürfte auch damit zu tun habe, dass der Wirtschaftsminister ihre Bedenken aufgreift. Er widerspricht etwa Forderungen, Deutschland solle auf energieintensive Industrien wie Chemie, Stahl und Zement verzichten, weil die Bedingungen für günstigen Öko-Strom nicht ideal sind. Außerdem betont er die Bedeutung des Mittelstands, der sich bei früheren Industriestrategien vernachlässigt sah. Der Verband der Familienunternehmen kritisierte trotzdem, viele von Habecks Vorhaben gingen an ihren Bedürfnissen vorbei.
Keine rosigen Zeiten für den Industriestandort
Der Wirtschaftsminister teilt die teils dramatische Lageanalyse der Branche. Die geopolitische Situation, die teure, aber notwendige Transformation zu einer CO2-neutralen Industrie und dazu noch vernachlässigte Infrastruktur, mangelnde Digitalisierung und viel Bürokratie – all das setze die Industrie enorm unter Druck. Der Industrieverband BDI warnt seit Monaten vor einer Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, vor allem wegen der im internationalen Vergleich zu hohen Energiepreise und einem Mangel an Fachkräften.
50 Milliarden staatliche Förderung in vier Jahren
Für Habeck bedeutet Industriepolitik auch staatliche Fördermittel. In den nächsten vier Jahren seien steuerliche Anreize für Investitionen und die Entlastung der Wirtschaft im Umfang von 50 Milliarden Euro geplant, fasst er zusammen. Aber: Man dürfe nicht einfach Steuern senken, sondern müsse gezielt Vorhaben zur Transformation der Unternehmen unterstützen. Darüber streitet der grüne Wirtschaftsminister regelmäßig mit dem liberalen Finanzminister Lindner, für den Subventionen nicht das Mittel der Wahl sind.
Bessere Standortbedingungen
Habeck warb erneut für einen erheblichen Ausbau erneuerbarer Energien, günstigere Strompreise und weniger Bürokratie. Ein vergünstigter Industriestrompreis soll dazu beitragen, energieintensive Industrien in Deutschland zu halten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich genau wie Lindner dazu bisher eher kritisch geäußert. Am Dienstag versprach er der IG Metall eine Lösung für energieintensive Industrien. Die Bundesregierung werde dafür sorgen, dass kein Unternehmen wegen hoher Energiepreise schließen müsse.
Mehr Arbeitskraft
Die Arbeitskräftelücke drohe bis zum Ende des Jahrzehnts zu dem Wachstumsproblem für Deutschland zu werden, warnt Habeck. Er plädiert deshalb für gezielte Anreize: Wer übers Rentenalter hinaus im Job bleibe, könne etwa den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung direkt ausbezahlt bekommen. «Alternativ dazu wäre ein steuerlicher Freibetrag für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte oberhalb der Regelaltersgrenze denkbar», heißt es in der Strategie. Ebenfalls ein Teil: Das Vorhaben, für zugewanderte Arbeitskräfte über Arbeit an eine Duldung im Land zu kommen. Diese Arbeitskräfte seien wichtig, sagte Habeck.
Habeck hält Schuldenbremse für veraltet
Sollten die Vorschläge umgesetzt werden, dürften sie den Staat Milliarden kosten. Habeck will deshalb bisherige finanzpolitische Spielregeln auf den Prüfstand stellen. Sie passten nicht zur Wirtschaft in der Zeitenwende, findet er. So deutet der Grünen-Politiker in seiner Strategie an, die Kosten müssten «solidarisch gestemmt werden». Auch die Schuldenbremse stellt er zur Disposition, betont aber gleich: «Für diese Legislatur gilt der Koalitionsvertrag inklusive der Schuldenbremse.»
Ärger erwartet: Wie reagiert Koalitionspartner FDP?
Einige von Habecks Thesen könnten absehbar für neuen Stress in der Ampel-Koalition sorgen. Es gebe Punkte, in denen seien sich die Akteure noch nicht einig, räumte der Minister ein. Das betreffe auch die finanziellen Möglichkeiten. Klar, denn die Schuldenbremse gehört zu den zentralen Wahlversprechen der FDP. Lindner pocht darauf, sie in den nächsten Haushalten wieder einzuhalten.
Die Strategie sei jedoch nicht gegen jemanden gerichtet, sondern solle die Konflikte noch einmal herausarbeiten, sagte Habeck. Der Industrie gehe es schlecht, da «sollte man nicht nur beschreibend klagen, sondern auch die politischen Entscheidungen treffen.» Wann die Bundesregierung eine Entscheidung über seine Industriestrategie treffe, sei jedoch offen.