Sicher steuert Pilot Falko Baguhl seinen Hubschrauber auf sein Ziel mitten auf der Nordsee zu, rund 15 Kilometer nördlich der Insel Borkum: Anflug auf den Offshore-Windpark Riffgat. Durch die geöffnete Seitentür ist zu sehen, wie der Hubschrauber langsam zwischen den Windrädern zur Landung ansetzt. Unten glitzern die Nordseewellen im grellen Sonnenlicht. Baguhl und sein Copilot vom Emder Unternehmen Heliservice bringen an diesem Spätherbsttag mit ihrer Maschine drei Techniker der Firma Omexom für Wartungsarbeiten auf die Umspannplattform des Windparks. Normalerweise sind Techniker und Hubschrauberbesatzung bei solchen Manövern allein – für ein Reporterteam machen die Unternehmen diesmal eine Ausnahme.
Als die Landeplattform des Umspannwerks erreicht ist und die Rotorblätter des rot-gelben Helikopters stillstehen, machen sich die Techniker direkt an die Arbeit – ein Generator hat eine Störung angegeben. Ihre Chefin Irina Lucke, Geschäftsführerin von Omexom Renewable Energies Offshore, einem Dienstleister für Instandhaltung, ist an diesem Tag mit rausgeflogen. Die Managerin ist seit den Anfängen der deutschen Offshore-Industrie vor 17 Jahren dabei. 2010 übernahm sie die technische Projektleitung für den Windpark Riffgat, dem ersten kommerziellen deutschen Windpark in der Nordsee.
Mehr Pionierarbeit als Renditeprojekt
«Als wir hier angefangen haben, haben wir nur die See um uns herum gesehen», erinnert sich Lucke an die Bauarbeiten 2012 und zeigt von der Brüstung auf die offene Nordsee. Der Windpark Riffgat mit 30 Anlagen sei damals eher Pionierarbeit als ein Renditeprojekt gewesen. Rund 120.000 Haushalte kann der Park mit Strom versorgen. Nun, sagt sie, gebe es hier einen «spektakulärer Horizont». In weiter Ferne schimmern Dutzende Windkraftanlagen. «Innerhalb von zehn Jahren haben wir das geschafft und davon ist drei Jahre nichts passiert, netto also in sieben Jahren», sagt Lucke hörbar stolz. Es sei eine «unglaubliche Energie» im Markt. «Es geht steil bergauf.»
Rund 1500 Windräder installiert
Zwischen Ausbauzielen und Ist-Zustand klafft allerdings noch eine gewaltige Lücke. Seit der Inbetriebnahme des ersten Windparks wurden inzwischen 24 weitere in der Nord- und Ostsee gebaut. 1563 Windräder mit einer Erzeugungskapazität von rund 8,3 Gigawatt drehen sich seitdem vor den deutschen Küsten. Das entspricht ungefähr der Leistung von acht großen Atomkraftwerken. Die Inbetriebnahme des neusten Windparks, Arcadis Ost 1, mit 27 Windkraftanlagen auf der Ostsee vor Rügen, steht in wenigen Tagen am 5. Dezember bevor.
Zuletzt schwächelte die Offshore-Windkraft. Der Ausbau war nicht attraktiv genug, 2021 wurden erstmals keine neuen Anlagen auf See gebaut. «Man hat einen wachsenden Wirtschaftszweig einmal gegen die Wand gefahren», sagt Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO) mit Blick auf die Regierungsjahre der Koalition von Union und SPD. Deshalb müsse nun mehr Tempo gemacht werden. Wegen Vorlaufzeiten werde der größte Zubau dennoch erst ab 2028 erfolgen.
Tatsächlich will die Politik den Ausbau kräftig vorantreiben, um die Klimaziele zu erreichen und um den Bedarf zu decken, der durch den Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie entsteht. Die Nordsee-Anrainer verständigten sich im April dieses Jahres darauf, das Meer zum «grünen Kraftwerk Europas» ausbauen zu wollen. Bis 2050 wollen die Anrainer Offshore-Windkraftanlagen mit einer Leistung von mindestens 300 Gigawatt installieren. Deutschland hatte seine Offshore-Ziele im vergangenen Jahr hochgeschraubt und angekündigt, mindestens 30 Gigawatt bis 2030 und mindestens 70 Gigawatt bis 2045 anzupeilen.
Naturschützer fürchten Industrialisierung
Während die Offshore-Industrie in den Startlöchern steht, sehen Naturschützer das vorgegebene Tempo mit großer Sorge. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kritisierte kürzlich in einer Stellungnahme das Ausbauziel von 70 Gigawatt und warnte vor einer «rücksichtslosen Industrialisierung». Schon heute sei die Nordsee durch Fischerei, Schifffahrt, Rohstoffabbau, Plattformen und Pipelines übernutzt, hieß es.
Es brauche künftig einen «vernünftigen Dialog» zwischen der Offshore-Branche, dem Naturschutz und der Fischerei, gibt Omexom-Managerin Lucke zu. «Die Diskussionen finden viel zu selten statt.» Eine schwindende Akzeptanz wie beim Ausbau der Windkraft an Land will die Industrie auf dem Wasser unbedingt vermeiden.
Globaler Wettlauf um Ressourcen
Eine weitere Herausforderung sieht die Branche in der globalen Konkurrenz, in der die Offshore-Industrie steht. «Wir haben nicht so viele Errichterschiffe, wie wir brauchen. Wir haben nicht so viele Kabelwerke, nicht so viele Turbinenwerke», erklärt Lucke. Und dann ist da noch ein großes Fachkräfteproblem. «Wir müssen schauen, dass wir uns nicht gegenseitig kannibalisieren», warnt die Managerin. Jede erneuerbare Energie habe ihre Daseinsberechtigung und suche Personal.
Dabei fehlen der Offshore-Branche Fachkräfte nicht nur auf der Nordsee, sondern auch an Land. «Wir suchen ständig Personal», sagt etwa Jens Oliver Freiland, Chef des Unternehmens Heliservice, das die Techniker zu der Umspannplattform geflogen hat. Einst war die Firma mit zwei Hubschraubern in Emden angefangen, nun sind es acht.
Personalsuche europaweit
Der Personalmangel und eine überbordende Bürokratie bremse die Aufbruchsstimmung, sagt Freiland. Nicht nur Piloten, sondern vor allem hochspezialisierte Fluggerätemechaniker seien schwer zu finden. Bis zu acht Jahre dauere es, bis ein Mechaniker nach Ausbildung und Lizenzen sammeln voll im Job angekommen sei. «In der gleichen Zeit werden Sie Herzchirurg.» Die Offshore-Branche pocht daher auch auf mehr Zuwanderung. Der Heliservice sucht Personal längst europaweit.
Künftig würden immer mehr Helikopter-Flüge benötigt, sagt Freiland. «Wir sehen schon einen Trend, dass sich das Flugvolumen dadurch erhöht, dass die Windparks ihre Logistikkonzepte ändern.» Außerdem, sagt Freiland, würden Windparks auf der Nordsee bald soviel weiter draußen als der küstennahe Windpark Riffgat gebaut werden, dass sie nur noch mit dem Hubschrauber gut zu erreichen sein werden.