Droht das örtliche Stromnetz zusammenzubrechen, sollen Netzbetreiber künftig den Stromverbrauch von Wärmepumpen und privaten Ladestationen herunterregeln können. Regeln für solche Notfälle hat die Bundesnetzagentur Ende November veröffentlicht. Demnach müssen alle steuerbaren Verbrauchseinrichtungen, die ab Jahresbeginn 2024 in Betrieb gehen, eine vorübergehende Begrenzung ihrer Leistung zulassen und entsprechend ferngesteuert werden können. Im Gegenzug profitieren die Eigentümer von reduzierten Netzentgelten. Doch wie sieht die Praxis aus? Gibt es unter den 866 Netzbetreibern bereits einen, der den Strombezug dimmen könnte?
Dem Energiewirtschaftsverband BDEW ist noch kein Verteilnetzbetreiber bekannt, der heute schon dimmt. «Das bedeutet aber nicht, dass nicht trotzdem bei Bestandsanlagen eine Steuerung nach der alten Regelung stattfindet», betont der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Denn auf freiwilliger Basis greifen Netzbetreiber schon lange in den Strombezug von Kunden ein. Laut Bundesnetzagentur gewährten Verbraucher den Netzbetreibern 2022 bundesweit Zugriff auf über 1,8 Millionen Anlagen, meist Nachtspeicherheizungen (58 Prozent) und Wärmepumpen (39 Prozent).
Netzbetreiber dürfen drosseln – Haushaltsstrom nicht betroffen
Nach den neuen Regeln dürfen die Verteilnetzbetreiber den Strombezug neuer Verbrauchseinrichtungen für die Dauer der Überlastung auf bis zu 4,2 Kilowatt drosseln. «Damit können Wärmepumpen weiter betrieben und E-Autos in aller Regel in zwei Stunden für 50 Kilometer Strecke nachgeladen werden», erklärt die Bundesnetzagentur. Der reguläre Haushaltsstrom ist davon nicht betroffen. Im Gegenzug bekommen die Betreiber der steuerbaren Geräte, etwa Haushalte, eine Ermäßigung.
Die neuen Regeln legen auch fest, dass der Netzbetreiber den Anschluss von neuen Wärmepumpen oder privaten Ladeeinrichtungen nicht mehr mit der Begründung einer möglichen lokalen Netz-Überlastung ablehnen oder verzögern darf. Wenn Engpässe auftreten, muss das Netz ausgebaut werden. Bei einem Engpass dürfen die Netzbetreiber zudem die Anlagen nicht einfach auf Verdacht ansteuern und dimmen, sondern müssen vorher die genaue Netzauslastung anhand von Echtzeit-Messwerten ermitteln.
Die neuen Regeln gelten seit Januar für neue Anlagen. Bei bestehenden Anlagen, für die bereits eine Vereinbarung zur Steuerung durch den Netzbetreiber besteht, gibt es langjährige Übergangsregelungen. Bestandsanlagen ohne eine solche Vereinbarung bleiben dauerhaft ausgenommen, können aber freiwillig mitmachen. Nachtspeicherheizungen sollen dauerhaft nicht unter die neuen Regeln fallen.
Netzorientierte Steuerung setzt Smart Meter voraus
Die Regeln sind das eine, der Bedarf das andere: Bis die sogenannte netzorientierte Steuerung möglich wird, ist viel Aufwand nötig. «Basis dafür ist die Netzzustandsermittlung unter Berücksichtigung von Netzmodellen und -berechnungen sowie entsprechende Mess-, Steuer- und Kommunikationstechnik beim Kunden», erklärt der Stadtwerkeverband VKU. Am Kundenanschluss setze solch eine Steuerung ein auch Smart Meter genanntes, intelligentes Messsystem mit Steuerbox voraus. Auch der VKU geht nicht davon aus, dass Verteilnetzbetreiber derzeit schon außerhalb von Modellprojekten in größerem Umfang netzorientiert steuern. Grund sei, dass es noch keine zertifizierten Steuerboxen für die Anlagen gebe.
Der BDEW geht davon aus, dass die Verteilnetzbetreiber neue Steuerungstechnik erst verbauen, wenn netzseitig auch tatsächlich eine Notwendigkeit besteht. Wann die ersten Verteilnetzbetreiber dimmend eingreifen, ist daher laut BDEW noch offen. Dies hänge unter anderem mit der Intensität des Hochlaufs der steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie den Wärmepumpen und Wallboxen sowie mit dem Netzausbau zusammen.
BDEW rechnet mit Standardisierung von Steuerungstechnik
Für die Steuerungstechnik wird es laut BDEW eine Standardisierung geben. Vorschläge dafür sollen spätestens bis Januar 2025 vorgelegt werden. «Dann erst kommt es zur Marktreife für Steuerungsgeräte.» Der BDEW geht davon aus, dass Netzbetreiber nötigenfalls zunächst mit einer Übergangstechnologie arbeiten.
Bis Ende 2028 haben die Netzbetreiber Zeit, die neue Technik zu installieren. «Ab 2029 dürfen Notfallmaßnahmen nur noch auf Basis von Echtzeitdaten erfolgen, die der Netzbetreiber aus intelligenten Messsystemen beim Kunden erhält», betont ein Sprecher von Deutschlands größtem Verteilnetzbetreiber Eon. Derzeit installiere Eon jährlich circa 5000 intelligente Netzstationen und 300.000 Smart Meter. «Diese helfen uns, entstehende Engpässe in Ortsnetzen zuverlässig zu erkennen.»
Laut Netze BW stehen die für die netzorientierte Steuerung nötigen Smart-Meter-Steuereinheiten derzeit noch nicht zur Verfügung. Die flächendeckende Einführung dieser Technologie sei aufgrund strenger Datenschutzvorschriften noch nicht erfolgt. Man werde daher im Jahr 2024 keine aktive Netzsteuerung durchführen können, erklärte der technische Geschäftsführer Martin Konermann. «Wir beobachten aufmerksam die Entwicklungen in Ländern wie Frankreich, Italien und den Niederlanden, wo die Implementierung von Smart Metern erfolgreich voranschreitet.» Ziel bleibe es, die technischen und rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um eine effiziente Netzsteuerung in der nahen Zukunft zu ermöglichen. Netze BW ist Deutschlands drittgrößter Verteilnetzbetreiber.
Eon: Engpässe in Niederspannung «ausgesprochen selten»
Eon betont, dass es sich bei den neuen Regelungen um ein Notfallinstrument handelt. «Unser Ziel ist es immer, steuernde Eingriffe von Seiten der Netzbetreiber auf das Mindeste zu begrenzen», sagte der Eon-Sprecher. «Engpässe in der Niederspannung sind ausgesprochen selten und wir rechnen – wenn überhaupt – nur in absoluten Ausnahmefällen mit steuernden Eingriffen.»
Auch der Betreiber EWE Netz will sein Stromnetz «schnellstmöglich» an den Hochlauf von E-Mobilität und Wärmepumpen anpassen. Voraussetzung für eine vollumfängliche Steuerung sei unter anderem, dass der Netzbetreiber seine Netzzustands- und Engpassanalysen auf Basis neuer digitaler Vorgaben ermittele, erklärte ein Unternehmenssprecher. Die Bundesnetzagentur habe zunächst nur Eckpunkte für die Digitalisierung festgelegt. Viele prozessuale Aspekte seien noch offen.