Das Weltwirtschaftsforum verfolgt seit mehr als 50 Jahren das Ziel, eine bessere Welt zu schaffen. Wenn sich in der kommenden Woche im Schweizer Wintersportort Davos wieder die politisch-ökonomische Weltelite trifft, scheint das dringender denn je. Denn wo vor Jahren noch über eine neue industrielle Revolution und Chinas Freihandel diskutiert wurde, geht es heute um Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, um Blockbildung, um Weltpolitik.
Längst drängen sich die politischen Probleme in den Vordergrund beim Davoser Treffen, das ursprünglich mal eine Zusammenkunft von Globalisierungsanhängern und Wirtschaftsliberalisten war. Die geopolitischen Spannungen seien in diesem Jahr so groß wie seit Jahrzehnten nicht, meint Forumspräsident Børge Brende. «Der einzige Weg nach vorn ist: zusammenkommen und Lösungen finden.»
Die Organisatoren haben sich viel vorgenommen: «Vertrauen wieder herstellen» ist das diesjährige Motto. Das Problem: Die Globalisierung ist seit der Corona-Pandemie unter Druck, durch Kriege und Krisenherde nehmen globale Spannungen zu. Mit dem Vertrauen ist es gerade schwierig auf dem internationalen Parkett.
Gewinnt das Treffen wieder an Bedeutung?
In den vergangenen Jahren schien das Weltwirtschaftsforum (WEF) vielleicht auch daher an Bedeutung verloren zu haben. Die ganz großen Namen wie etwa ein US-Präsident fehlten auf der Teilnehmerliste, im vergangenen Jahr war Kanzler Olaf Scholz als einziger Staats- oder Regierungschef eines G7-Staates dabei. Doch in diesem Jahr reisen wieder mehr Größen aus Politik und Wirtschaft an – und vor allem auch solche mit entscheidenden Rollen in den aktuellen Krisen.
Erstmals seit Beginn des Krieges kommt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Davos. In den vergangenen Jahren hatte er digital um Unterstützung für sein von Russland angegriffenes Land geworben. Diesmal reist er selbst an, um den mehr und mehr kriegsmüden Westen aufzurütteln. Auf der Davoser Promenade könnte Selenskyj auf den chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang treffen. Die Ukraine hofft schon länger, dass sich China stärker in den Konflikt einbringt und seinen Einfluss auf Russland geltend macht.
Mit Spannung wird zudem erwartet, welche Signale Li Qiang an die wirtschaftspolitische Elite sendet. Denn Chinas Wirtschaft steht unter anderem durch den Schlagabtausch über Sanktionen mit den USA schwer unter Druck. China freue sich, Austausch und Kommunikation zu stärken und das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zu erhöhen, hieß es vorab aus dem Außenamt in Peking.
Spitzenpolitiker aus dem Krisenherd Naher Osten
Das Weltwirtschaftsforum hat in diesem Jahr auch das Potenzial, wichtige Interessenvertreter rund um den Gaza-Krieg zusammenzubringen. Neben den Ministerpräsidenten aus Katar, dem Irak, Jordanien und Libanon steht der israelische Präsident Isaac Herzog auf der Gästeliste. Nach Medienberichten wird auch der iranische Außenminister erwartet.
Das WEF tue alles, um Dialoge in Gang zu setzen, hieß es vorab. Mehr ist auch eigentlich nicht zu erwarten, denn das Schweizer Treffen ist üblicherweise kein Gipfel, bei dem hart verhandelt wird und am Ende ein Ergebnis vorliegt. Es geht vielmehr um Austausch, um Gespräche abseits der Öffentlichkeit, um persönliches Kennenlernen. Man könnte das Weltwirtschaftsforum als «Mutter aller Netzwerke» bezeichnen.
Dass das Forum trotzdem Weltgeschichte schreiben kann, zeigt das Aufeinandertreffen von Nelson Mandela und dem damaligen südafrikanischen Präsidenten Frederik Willem de Klerk im Jahr 1992. Ihr Händedruck symbolisierte damals das Ende der Apartheid.
Kontaktbörse für die ökonomische Elite
Abseits der großen Podiumsdiskussionen agieren die großen Unternehmen in Davos. Während des Weltwirtschaftsforums bauen sie die Läden in der Promenaden-Straße zu kleinen Firmensitzen um. Abends trifft man sich hier für Häppchen und Drinks, um über die Zukunft der Welt – und der eigenen Firma zu philosophieren.
Rund 800 Unternehmenschefs erwartet das Weltwirtschaftsforum, darunter Microsoft-Gründer Bill Gates und Sam Altman, den Entwickler des populären Chatbots ChatGPT. Künstliche Intelligenz (KI) soll eines der herausragenden Themen sein. Das WEF sieht darin Chancen und Risiken, wie Geschäftsführerin Saadia Zahidi sagte. Zwar könnten sicher viele Aufgaben von KI übernommen werden, was Freiräume für Wichtigeres schafft. Aber in einem neuen Bericht des Forums stehen Falschinformationen zugleich an erster Stelle der globalen Risiken. Sie können durch KI massenhaft, in Windeseile und täuschend echt produziert werden.
Verschwörungstheorien rund um das Treffen
Die oft als «globale Elite» bezeichneten Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums sind Feindbild Nummer eins vieler Verschwörungstheoretiker. Diese schüren gerne Angst vor geheimen Zirkeln, die eine neue Weltordnung nach ihrem Gusto anstreben.
Da kommt ihnen die Jahrestagung mit zahlreichen Chefinnen und Chefs der größten Konzerne, Politikerinnen und Politikern von Rang und Namen sowie UN-Organisationen und Denkfabriken gerade recht. In Davos würden geheime Deals geschmiedet, heißt es. Dies mag vereinzelt zutreffen, die Regel ist es aber nicht.
Viele Mythen kommen durch ein Buch zustande, das der WEF-Gründer und Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab (85) im Jahr 2020 zusammen mit Thierry Malleret veröffentlichte. Verschwörungstheoretiker wittern schon im Titel die dunklen Absichten des WEF: «The great reset» – der große Umbruch. Der ganze Titel lautet allerdings: «Covid-19 – der große Umbruch».
Die Autoren schreiben, dass die Welt nach Jahren der Gewinnmaximierung unter dem Eindruck von Pandemie und Klimawandel nun eine Wende brauche hin zu mehr Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Inhalte aus dem Buch werden aber oft verzerrt: So wurde aus einem Aufruf zu mehr Carsharing fälschlich die Aussage gedreht, Schwab wolle das Autofahren verbieten.
Scholz kommt nicht
Anders als in den Vorjahren wird Scholz diesmal nicht in Davos sprechen. Aus der Bundesregierung stehen Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Programm. Prominenter ist Frankreich mit Präsident Emmanuel Macron besetzt. Erwartet werden auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der neue argentinische Präsident Javier Milei und US-Außenminister Antony Blinken.