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Der Umwelt zuliebe: Heidelberg baut aus alten Häusern neue

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Apr 10, 2024 , ,
Der Bauschutt vor einem ehemaligen Wohnhaus im Patrick-Henry-Village in Heidelberg ist bereits vorsortiert. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uwe Anspach/dpa)

Wo sich heute schmucklose weiße 50er-Jahre-Wohnblöcke aneinanderreihen, soll in den kommenden Jahren ein neues Stadtviertel für rund 10.000 Heidelberger entstehen: Knapp die Hälfte der 169 Wohngebäude auf dem ehemaligen US-Militärgelände Patrick-Henry-Village (PHV) soll abgerissen werden – und die Baumaterialien fast komplett wiederverwertet.

«Wenn wir so auf 90 Prozent kommen, dann wären wir zufrieden», sagt der Erste Bürgermeister Jürgen Odszuck zwischen Bauzäunen. Mithilfe eines Programms hat die Stadt insgesamt rund 466.000 Tonnen Baumaterialien in einem Kataster erfasst. Heidelberg will stadtweit Baustoffe wiederverwerten – und damit Vorreiter beim sogenannten Urban Mining sein.

Ökonomin Sarah Lichtenthäler vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln kennt kein vergleichbares Projekt in dem Umfang inklusive Kataster. Felix Müller, Experte für Urban Mining beim Umweltbundesamt, sagt über das Projekt: «Es ist schon bemerkenswert, wie systematisch dort an Lösungen für ein Urban Mining im Bauwesen gearbeitet wird» – und wie viele Ressourcen etwa in das detaillierte Kataster investiert würden.

Er bezeichnet die Stadt als «Pionier», betont allerdings, dass sich auch andere Kommunen mit dem Thema befassten, etwa Hamburg, Berlin und Dresden. So schreibt Berlin bei öffentlichen Bauvorhaben den umweltgerechten Rückbau mit Trennung der Materialien ebenso vor wie den Einsatz von recycelten Stoffen.

Das ist Urban Mining

Beim Urban Mining (Urbaner Bergbau) geht es darum, aus langlebigen Gütern wie Gebäuden, Fahrzeugen und Handys Rohstoffe zu gewinnen und zu verwenden. Dies ist auch ein Thema für die Bundesregierung, die eine nationale Urban-Mining-Strategie anstrebt. Diese soll im kommenden Jahr in die Ressortabstimmung gehen, wie Müller vom Umweltbundesamt sagt.

Die Baubranche ist bei dem Thema zentral, weil die größten Mengen auf mineralische Baustoffe entfallen, wie Lichtenthäler sagt. Dies sind etwa Naturstein, Kalk- und Gipsstein, Bausande, Kiese und Lehm.

Odszuck erzählt, die Idee in Heidelberg sei Ende 2021 gemeinsam mit der Bauberatungsfirma Drees & Sommer, deren Forschungsinstitut Epea und dem Baustoffkonzern Heidelberg Materials entstanden.

«Es ist in erster Linie tatsächlich getrieben durch die Verantwortung, die wir fühlen gegenüber den Materialien und letztendlich den Bodenschätzen, die wir in unserem Land haben, die wir vielleicht auch global haben», sagt Odszuck. «Das ist auch getrieben dadurch, dass wir irgendwo schon gar nicht mehr wissen, wo wir entsorgen sollen.» Bei der Erweiterung der Kläranlage seien etwa im vergangenen Jahr Tausende Tonnen Baumaterial nach Nürnberg gefahren worden – «eine Schweinerei», wie Odszuck sagt.

Teure Rohstoffe

Zudem gebe es auch beim Kauf von Rohstoffen Probleme. «Wir haben festgestellt, bei Baumaßnahmen, gerade im Straßenbau, dass wir zum Teil so simples Zeug wie Kiesel oder gebrochenes Steinmaterial schwer auf dem Markt kriegen – und wenn, dann zu hohen Preisen», sagt Odszuck, der selbst Architekt ist und früher Bauarbeiter war. Im Patrick-Henry-Village sollen letztlich vor allem Beton, Mörtel und Verputz, aber auch Ziegel wieder verbaut werden.

Laut dem Zentralverband der Deutschen Bauwirtschaft können die zurückgebauten mineralischen Baustoffe hauptsächlich als Gesteinskörnung wiederverwendet werden, zum Beispiel im Straßenbau oder in der Betonherstellung. Doch der Bedarf übersteigt bei weitem das Angebot: Der Verband verweist auf Zahlen der Kreislaufwirtschaft Bau, wonach derzeit jährlich so etwa 77 Millionen Tonnen Gesteinskörnungen gewonnen werden – gerade einmal 13 Prozent des Gesamtbedarfes.

Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa lobt allerdings den Heidelberger Ansatz: «Das Projekt kann eine gute Blaupause für die Darstellung von Potenzialen in der urbanen Mine werden. Wir brauchen auch hier digitale Lösungen, die den Ist-Zustand sichtbar machen.» Diese könnten wiederum bei der optimalen Verwendung aller möglichen Stoffe helfen.

Heidelberg hatte nach eigenen Angaben bereits Steckbriefe der einzelnen Gebäude im PHV mit Daten zu Baujahr, Größe, Art, Nutzung und Standort vorliegen. Diese Daten wurden über ein Computerprogramm – den Urban Mining Screener – mit Informationen zu generell verwendeten Baumaterialien von Wohngebäuden in den 50er Jahren in der Region verbunden. Die mutmaßlichen Baumengen und -stoffe wurden in einem Kataster erfasst. Odszuck sagt: «Es hat schon eine Unschärfe, aber die ist relativ überschaubar.» Mithilfe von Proben aus Wänden und Böden der Gebäude sollen die Daten überprüft und noch genauer werden.

Keine Einsparungen

Auf Kosteneinsparungen hofft Heidelberg nach Angaben von Odszuck mit dem Projekt zunächst nicht. «Man ist froh, wenn man dadurch keine Kostensteigerung bekommt. Was wir hier machen, das sind alles noch Sonderwege, Prototypen.» Parallel muss die Stadt auch die Gebäude von der Eigentümerin, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, erwerben. Die Bima – die selbst mehrere Gebäude auf dem Gelände erweitern und neu bauen will – ist nach eigenen Angaben offen dafür, sich an dem Projekt zu beteiligen.

Ein Problem beim Urban Mining ist für Ökonomin Lichtenthäler die Frage der Flexibilität in Bezug auf Mengen und Materialien. «Man kann sich nicht immer auf das Angebot verlassen. Es gibt nur das, was gerade abgerissen wird», sagt die Wissenschaftlerin. Außerdem sei die Frage, wie aufwendig die Aufbereitung der Stoffe sei. «Auch für die energieintensiven Prozesse der Aufbereitung werden Ressourcen verbraucht.» Dazu müsse die Qualität der Materialien gesichert sein.

Lichtenthäler sieht in dem Heidelberger Konzept weiteres Potenzial: Das Kataster könne dabei helfen, künftig beim Bau von Gebäuden schon eine spätere Weiterverwertung der Baustoffe mitzudenken. «Man hat eine Datenbank, die ausgewertet werden kann, zum Beispiel von welchen Gebäuden konnten welche Rohstoffe wie recycelt werden? Man kann aus den Daten lernen.»

Von Stefanie Järkel, dpa