Den Fahrgästen der Deutschen Bahn drohen mitten in der Urlaubszeit wegen eines Streiks bundesweit Zugausfälle und Verspätungen. Kurz nach der Urabstimmung wollen die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) in den Arbeitskampf treten.
Die Personenzüge wie auch die gesamte Infrastruktur der Bahn sollen ab diesem Mittwoch, 02.00 Uhr, für 48 Stunden bestreikt werden, kündigte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky am Dienstag in Frankfurt an. Bereits am Dienstagabend sollte ab 19.00 Uhr der Güterverkehr lahmgelegt werden.
Die Fahrgäste müssen daher mit zahlreichen Zugausfällen und Verspätungen rechnen. Am Mittwoch und Donnerstag soll nur ungefähr jeder vierte geplante Fernzug bei der Deutschen Bahn fahren. Beim Regionalverkehr werde das ebenfalls sehr eingeschränkte Angebot regional sehr stark schwanken, teilte das Unternehmen am Dienstag in Berlin mit.
Die Einschränkungen dürften sich bis weit in den Freitag hineinziehen, auch wenn der Arbeitskampf offiziell um 02.00 Uhr am Freitag endet. Das folgende Wochenende soll verschont bleiben, kündigte die GDL an.
Man habe in dem festgefahrenen Tarifkonflikt keine anderen Möglichkeiten mehr, meinte Weselsky. Einwände wegen der hohen Belastungen von Bahn und ihren Kunden durch die Corona-Krise und die Überflutungen ließ der GDL-Chef nicht gelten. «Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für einen Streik bei der Eisenbahn. Bitte wenden sie sich an das DB-Management», sagte er auf eine entsprechende Frage.
Notwendige Zustimmung zum Streik weit übertroffen
Zuvor hatten bei einer Urabstimmung 95 Prozent der teilnehmenden GDL-Mitglieder für einen Arbeitskampf votiert. Damit sei die notwendige Zustimmung von 75 Prozent weit übertroffen worden, erläuterte Weselsky. Nach seinen Angaben beteiligten sich 70 Prozent der stimmberechtigten Mitglieder bei der Deutschen Bahn an der Urabstimmung.
Die GDL will nach den Worten Weselskys eine Nullrunde im laufenden Jahr nicht akzeptieren, verlangt eine deutliche Corona-Prämie von 600 Euro und Einkommenssteigerungen von insgesamt 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten.
Die Bahn bezeichnete den Streik als «Eskalation zur Unzeit». «Gerade jetzt, wenn die Menschen wieder mehr reisen und die Bahn nutzen, macht die GDL-Spitze den Aufschwung zunichte, den wir in Anbetracht der massiven Corona-Schäden dringend brauchen», teilte Personalchef Martin Seiler mit. Er kritisierte, die GDL habe sich nicht an ihre Ankündigung gehalten, den Kunden ausreichend Vorlauf vor dem Streikbeginn zu lassen. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn nannte die Streikankündigung «deutlich zu kurzfristig».
Die Bahn will angesichts von neuen Milliardenverlusten während der Corona-Pandemie und großen Flutschäden einen länger laufenden Tarifvertrag und spätere Erhöhungsstufen bei gleicher Prozentzahl. Seiler forderte die GDL auf, die Probleme in Verhandlungen zu lösen.
3000 Neuzugänge bei der GDL
Die kampferprobte Gewerkschaft vertritt nach eigenen Angaben rund 80 Prozent der DB-Lokführer und hat in den vergangenen Monaten verstärkt um Mitglieder in anderen Berufsgruppen bei der Bahn geworben. Es seien in den Werkstätten und unter den Fahrdienstleitern rund 3000 Menschen der GDL beigetreten, erklärte Weselsky. Es sei klar, dass man für diese und andere Berufsgruppen künftig Tarifverträge abschließen werde. Berichte über eine angeblich knappe Streikkasse wies er als «Latrinenparolen» zurück. «Das ist ausreichend für lange, lange Streiks. Wir haben aber nicht vor, das auszukosten.»
Die Bahn hatte am Montag keine Details zu Notfallplänen genannt. Beim jüngsten GDL-Lokführer-Streik vor sechs Jahren hatte man einen Notfahrplan erstellt, um zumindest etwas Betrieb aufrechtzuerhalten. Im Fernverkehr konnte etwa ein Drittel der Züge fahren, vor allem auf den Hauptstrecken vom Ruhrgebiet nach Osten sowie von Hamburg nach Süden. Auch im Regionalverkehr und bei S-Bahnen dürfte bei einem Lokführerstreik ein Großteil der Züge ausfallen. Der gestörte Betriebsablauf könnte dann auch bei Konkurrenten der Deutschen Bahn zu Einschränkungen führen.
Machtkampf zwischen GDL und EVG tobt weiter
Neben dem Streit über Einkommenszuwächse tobt im Konzern ein Machtkampf zwischen der GDL und der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Für die GDL sind hohe Tarifabschlüsse für möglichst viele Berufsgruppen und Beschäftigte eine Frage des Überlebens und der künftigen Wachstumsmöglichkeiten. Denn die Bahn muss das Tarifeinheitsgesetz umsetzen. In den rund 300 Betrieben des Unternehmens soll danach nur noch der Tarifvertrag der jeweils größeren Gewerkschaft zur Anwendung kommen. Meist ist das die EVG.
EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel warf der Konkurrenz-Gewerkschaft vor, den Bahnkonzern spalten zu wollen. Die harte Tarifauseinandersetzung solle jetzt doch noch für mehr Mitglieder bei der GDL sorgen. «Diese GDL kämpft um ihr Überleben und nimmt dabei den Verlust von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung von Beschäftigungsbedingungen in Kauf», sagte Hommel. Es sei «höchste Zeit», dass alle Beteiligten Verantwortung übernähmen und an den Verhandlungstisch kommen.
Der Ausstand der Lokführer ist der erste Streik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die EVG ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Streik 2014 und 2015. In acht sich steigernden Wellen legten die Lokführer unter Weselskys Führung die Arbeit nieder und weite Teile des Streckennetzes lahm.
Die EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss mit der Bahn unterschrieben. Dieses Jahr gab es eine Nullrunde. Anfang 2022 erhalten die Beschäftigten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen.