Obwohl sich die Menschen hierzulande gerne nachhaltiger ernähren wollen, werden ihnen dabei nach Einschätzung von Umweltschützern von der Politik immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das geht aus dem knapp 80 Seiten langen «Fleischatlas» hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde.
In dem Papier stellen unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Heinrich-Böll-Stiftung Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel zusammen. Die Verfasser beklagen fehlende Transparenz für Verbraucher und mangelnde Anreize für Anbieter.
Nachhaltigkeit liegt laut dem Bericht vor allem jüngeren Menschen am Herzen. Das zeige eine repräsentative Umfrage unter 15- bis 29-Jährigen aus dem vergangenen Jahr, sagt Christine Chemnitz von der Heinrich-Böll-Stiftung. Mehr als 70 Prozent der Befragten lehnten demnach die Fleischproduktion, wie sie derzeit stattfinde, ab. «Doch die Bundesregierung kommt ihren Forderungen nicht nach», so die Referentin für internationale Agrarpolitik.
Die Verfasser vom «Fleischatlas» drängen daher auf eine einheitliche Tierwohl-Kennzeichnung in der EU, um Kaufentscheidungen zu erleichtern. In einzelnen Nachbarländern gebe es bereits Tierwohl-Logos. In Deutschland müssen Supermarktkunden weiter auf ein staatliches Label für Fleisch und Wurst aus besserer Tierhaltung warten. «Das liegt am fehlenden politischen Willen und nicht am mangelnden Wissen über die Instrumente», so ihre Kritik.
In der Forderung nach einem EU-einheitlichen Tierwohl-Label sind die Umweltschützer nicht allein. «Die deutschen Landwirte wollen den Verbraucheransprüchen nach mehr Tierwohl nachkommen», betont der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Udo Hemmerling. Das könne aber nur gewährleistet werden, wenn Verbraucher bereit seien, für die Produkte mehr zu zahlen. Auch nach Einschätzung der Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) wäre eine EU-weite Tierwohl-Kennzeichnung «sicherlich hilfreich» für mehr Transparenz.
Welche tatsächlichen Verbesserungen ein solches Label am Ende beinhalten würde, darüber wird diskutiert. «Wo ein ausgewachsenes Schwein dann statt 0,7 Quadratmeter 0,9 Quadratmeter auf einem Betonspaltenboden hat, dann würde ich sagen, das hat mit Tierschutz wenig zu tun, sondern mit einem guten Marketingkonzept», sagt der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne).
Im «Fleischatlas» werden auch weitere konfliktträchtige Themen angesprochen, etwa die klimaschädlichen Auswirkungen der Fleischproduktion. «Ich würde sagen, es bräuchte nicht nur ein Tierschutzlabel – ich würde sagen, es bräuchte auch ein Klimalabel», fordert Chemnitz.
Dem Bericht zufolge wird nämlich die Fleischerzeugung bis 2029 nach Schätzungen um etwa 40 Millionen auf 366 Millionen Tonnen weltweit steigen, mit entsprechenden Folgen für das Klima. Den Angaben zufolge ist der Lebensmittelsektor bereits heutzutage für mindestens 21 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich – Tendenz steigend. Dabei will Europa bis 2050 klimaneutral werden.
Angesprochen auf diese und ähnliche Zahlen wiegelt Bauernvertreter Hemmerling ab: «Offenbar wird versucht, mit überzogenen globalen Horrorzahlen die Stimmung im Wahlkampf anzuheizen.» Die Realität in Deutschland sehe anders aus.
«Der Anteil der gesamten Landwirtschaft an den Klimagasen liegt bei etwa 8 Prozent, darunter etwa 4 Prozent unmittelbar aus der Tierhaltung», sagt er. Je Liter Milch seien die Klimaemissionen in Deutschland zudem nur halb so hoch wie im weltweiten Vergleich und die Bindung von Kohlenstoff sei eben untrennbar mit der Rinder- und Schafhaltung verbunden.
Solche Zahlen müssten differenziert betrachtet werden, betont Grünen-Politiker Häusling. Steht eine Kuh etwa hauptsächlich auf der Weide, ist das seinen Worten nach sogar gut für die Umwelt, «weil Kühe können nun mal aus einem Stoff, den wir nicht verwerten können, hochwertiges Eiweiß machen.» Muss Soja und Mais für die Ernährung allerdings mit teilweise fraglichem Ursprung importiert werden, so ändere sich auch der CO2-Ausstoß der Branche. «Dann kommen wir auch in Europa auf einen Anteil der Landwirtschaft bei 30 Prozent und nicht, wie manchmal behauptet wird, unter zehn. Das ist ein Punkt, der gar nicht mehr unstrittig ist.»