Kredite und Bürgschaften reichten nicht aus, jetzt kommt auch der Staatseinstieg inklusive Kapitalerhöhung: Tui soll mit dem Bund als Großaktionär die besonders harte Corona-Durststrecke im Winter überstehen.
Formal vollzogen ist der Tausch von Einlagen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) in direkte Anteile am größten Touristikkonzern der Welt zwar noch nicht. Die bisherigen Tui-Eigner beschlossen auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am Dienstag jedoch fast einstimmig, dass der WSF nun das Recht dazu erhält.
Damit bekommt der Staat nach der Lufthansa bei einem weiteren angeschlagenen Unternehmen der Reisebranche erheblichen Einfluss. Aber auch private Eigentümer lassen Tui über eine Kapitalerhöhung dringend benötigtes Geld zufließen.
Teile früherer Hilfen sind aufgebraucht, der Winter ist selbst ohne Pandemie eine schwache Saison, und auch danach dürfte das Reisegeschäft nicht so schnell zu alter Größe zurückfinden. Tui hätte der finanzielle Kollaps gedroht, wäre ein ergänzendes Rettungspaket nicht rasch zustande gekommen.
Die Gesamtkonstruktion ist komplex und teils auch umstritten. Nimmt der WSF sein Recht in vollem Umfang wahr, darf er maximal 25 Prozent plus einen Anteilsschein an Tui übernehmen. Das würde dem Bund unter anderem eine Sperrminorität sichern, die ihm ein Mitspracherecht und eine Blockademöglichkeit bei zentralen Entscheidungen gibt. Auch die EU-Kommission hatte die dafür nötige Wandlung sogenannter stiller Einlagen in Tui-Aktien kürzlich genehmigt – ebenso wie weitere Kredite, die zum mittlerweile dritten «Stabilisierungspaket» gehören.
Wandelt der WSF die Einlagen sowie eine ergänzende Anleihe um, spielt er zudem eine maßgebliche Rolle bei neuen Kreditaufnahmen, Verkäufen oder Übernahmen. Tui-Vorstandschef Fritz Joussen machte indes klar: «Der Fonds macht keine Vorgaben für das operative Geschäft.»
Die Begrenzung der Anteile auf gut ein Viertel würde wohl auch nur ganz erreicht, falls das Land Niedersachsen am Tui-Hauptsitz Hannover einen weiteren Teil des Geldes nicht absichert. Dies wird derzeit diskutiert, stößt aber bei Grünen und FDP auf Ablehnung. «Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Tui-Investoren zu retten, die bislang herzlich wenig zur Lösung beigetragen haben», so Grünen-Finanzexperte Stefan Wenzel kürzlich. Die CDU sprach sich dagegen für die Gewährung von Landesbürgschaften aus, denn auch Tui sei «systemrelevant».
Widerstand gibt es bei Kritikern – neben grundsätzlichen Bedenken zu solchen Eingriffen des Staates in der Wirtschaft – vor allem, weil der Konzern parallel 8000 Stellen weltweit streicht. Das Management begründet die Einschnitte mit einer langfristig tragfähigen Struktur. Die Pilotengewerkschaft Cockpit verlangt eine Schlichtung in den Verhandlungen über Kürzungen bei der Fluggesellschaft Tuifly. Joussen erklärte dazu: «Wir stehen für einen Dialog weiter zur Verfügung.»
Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sprach mit Blick auf die steuerfinanzierte Staatsbeteiligung insgesamt dennoch von «einem ordnungspolitischen Sündenfall»: «Konzern um Konzern wird rekapitalisiert, während kleine und mittlere Unternehmen auf die Hilfen warten.» Schon in früheren schweren Wirtschaftskrisen waren Not-Teilverstaatlichungen großer Unternehmen nicht ohne Widerspruch geblieben. So kam es im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008 zu langen Debatten über den Einstieg des Bundes bei der Commerzbank.
Vor der nun zusätzlich genehmigten Kapitalerhöhung bei Tui um rund 500 Millionen Euro summierte sich die Unterstützung aus Darlehen, Garantien, Anleihen und Vermögenseinlagen bereits auf 4,8 Milliarden Euro. Nach Angaben Joussen hat der Konzern derzeit 2,3 Milliarden Euro an flüssigen Mitteln, wenn man die Kapitalaufstockung und das neue Rettungspaket mitrechnet. Allerdings geht er davon aus, dass ein Teil der Hilfen über den Winter und Frühling wieder abschmelzen könnte – um bis zu mehrere hundert Millionen Euro pro Monat.
Die hoch verschuldete Tui will nach weiteren Finanzierungsquellen suchen, wozu der Vertrag mit dem WSF laut Joussen auch verpflichtet. Das Unternehmen prüft, bestimmte Teile abzustoßen, um später die Rückzahlung der Kredite leichter zu schaffen. Dazu könnte etwa die Auslagerung des Airline-Betriebs in Gemeinschaftsfirmen zählen. Und bei den Hotels gibt es Überlegungen, etliche Häuser in Fonds zu geben und für diese um Investoren zu werben – nur noch das Management bliebe dann bei der Tui, nicht mehr die volle Eigentümerschaft.
Am Ende kommt es darauf an, dass sich die Reisekonjunktur rechtzeitig erholt. Aktuell sieht es auch angesichts des schleppenden Impfbeginns durchwachsen aus. Zwar gibt sich Joussen prinzipiell optimistisch: «Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Reisen für die Menschen nach der Pandemie an Bedeutung verliert.» Auch Studien zeigten, «dass das Reisen die am meisten vermisste Aktivität im Lockdown ist».
Tui muss die Zeit fast fehlender Umsätze also irgendwie durchstehen, bis größere Bevölkerungsschichten immun gegen das neue Coronavirus sind und wieder mehr Betrieb möglich ist. Joussen appellierte an die europäischen Staaten, mehr Antikörper-Schnellanalysen in der Breite verfügbar zu machen: «Inzwischen gibt es verlässliche Tests, die sichere Reisekorridore schaffen können. Wir können dann mehr testen, unmittelbar vor dem Abflug, und erhalten umgehend Ergebnisse.»
Unklar ist auch, wie sich die beschlossenen Schritte auf die übrigen Besitzverhältnisse auswirken. Die russische Milliardärsfamilie Mordaschow – bisher mit knapp 25 Prozent größter Tui-Einzelaktionär – wurde von der Finanzaufsicht Bafin von der Pflicht befreit, ein Übernahmeangebot abzugeben, sollte ihr Anteil 30 Prozent erreichen.
Joussen zufolge sind bis zu 36 Prozent für die Mordaschow-Firma Unifirm denkbar. Ob Großaktionäre wie die spanische Hotelgruppe Riu oder der ägyptische Touristik-Unternehmer Hamed el Chiaty die Bezugsrechte ausüben, «ist uns nicht bekannt». Eine Dividende soll es erst wieder geben, sobald die staatlichen Kredite zurückgezahlt sind.