Fluggäste haben künftig Aussicht auf Entschädigung, wenn ihr Flug um mehr als eine Stunde vorverlegt wird.
Je Reisestrecke müssen Airlines eine Ausgleichspauschale zwischen 250 und 600 Euro zahlen, wenn sie nicht rechtzeitig über die Verschiebung informieren, wie aus einem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs hervorgeht. Konkret heißt es: «Ein Flug ist als „annulliert“ anzusehen, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt.»
Dies nehme den Fluggästen die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen, so die Luxemburger Richter. Die neue Abflugzeit könne Fluggäste etwa zwingen, große Anstrengungen zu unternehmen, um noch rechtzeitig am Flughafen zu sein. Bei einer solchen «erheblichen» Vorverlegung müsse die Airline auch stets den Gesamtbetrag der je nach Distanz des Flugs gestaffelten Entschädigung zahlen (Rechtssachen C-146/20, C-188/20, C-196/20, C-270/20, C-263/20).
Rechtzeitige Bekanntgabe
Der EU-Fluggastrechte-Verordnung zufolge müssen Anbieter bei Annullierungen jedoch keine Entschädigung zahlen, wenn sie rechtzeitig Bescheid geben. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn Reisende mindestens zwei Wochen vor Abflug unterrichtet werden. Zudem gelten kürzere Fristen, wenn eine alternative Verbindung zu ähnlichen Zeiten angeboten wird. Hintergrund des Urteils sind mehrere Fälle aus Deutschland und Österreich.
Eine Airline, die wegen des Verhaltens eines anderen Unternehmens den Fluggästen einen Ausgleich zahlen muss, hat dem Urteil zufolge die Möglichkeit, Regressansprüche gegen die andere Firma zu erheben. Sie habe aber auch die Pflicht, einen nicht beförderten Fluggast darüber zu informieren, von wem eine Ausgleichszahlung verlangt werden könne. Auch müsse mitgeteilt werden, welche Unterlagen dafür nötig seien. Der genaue Betrag der fälligen Entschädigung müsse aber nicht genannt werden.
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) betonte, es liege im Interesse der Fluggesellschaften, ihre Zeitpläne einzuhalten. «Bei der Vorverlegung von Flügen handelt es sich deswegen auch nur um wenige Einzelfälle.» Zu diesen könne es etwa kommen, wenn versucht werde, etwa wegen eines bevorstehenden Wetterumschwungs oder Streiks Verspätungen zu vermieden.
Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen begrüßte das Urteil des EuGH. «Aber es ist ein unerträglicher Missstand, dass Fluggäste immer wieder klagen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen», teilte der Grünen-Politiker mit. Auch ohne den Umweg über ein Gericht müssten Airlines ihren Kundinnen und Kunden die Entschädigung auszahlen.
Das Urteil vom Dienstag ist nicht das erste, in dem der EuGH Verbraucherinnen und Verbraucher den Rücken stärkt: So haben die Richter im Oktober entschieden, dass Fluggäste in der Regel auch dann ein Anrecht auf Entschädigung haben, wenn ihre Verbindung wegen eines Streiks des Kabinenpersonals gestrichen wurde. Ausnahmen gebe es nur in Einzelfällen. Zuvor hatte der Gerichtshof klargestellt, dass bei einer kurzen Flugumleitung die Airline die Kosten für die Fahrt zum ursprünglichen Ziel übernehmen muss.
Es gibt aber auch Urteile zugunsten der Fluggesellschaften. So muss keine Entschädigung gezahlt werden, wenn ein Flug wegen eines randalierenden Gasts verspätet ist. Außer die Airline hat selbst zum Verhalten des Fluggastes beigetragen oder es gab vor dem Boarding Anzeichen für die Eskalation.