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Was Russlands Angriff für die Energieversorgung bedeutet

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft ist sich sicher: «In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben.» (Urheber/Quelle/Verbreiter: Aurel Obreja/AP/dpa)

Bei Energieimporten hängt Deutschland am russischen Tropf. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zählte auf: 55 Prozent des importierten Erdgases kämen aus Russland, beim Öl seien es 35 Prozent und bei der Kohle 50 Prozent.

«Die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, ist jetzt meine oberste Aufgabe», versprach der Grünen-Politiker. Seine Botschaft: Deutschland komme sicher durch den laufenden Winter – auch wenn Russland Lieferungen verringere oder einstelle. Für die kommende Heizsaison aber will die Bundesregierung besser vorsorgen.

Die Eigentümer der Gasspeicher sollten verpflichtet werden, dass diese voll seien, bevor der Winter anfange, sagte Habeck und sprach von einer Gasreserve. In diesem Winter waren sie zeitweise vergleichsweise gering gefüllt. Hintergrund war unter anderem, dass Russlands Staatskonzern Gazprom seine Gasspeicher in Deutschland nicht mehr auffüllte. Habeck plant außerdem eine «Kohlereserve».

Drohen jetzt Gas-Lieferengpässe in Deutschland?

Die Gasbranche sieht die Gasversorgung für Deutschland mit Blick auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine aktuell als gesichert an. Vorstand Timm Kehler vom Branchenverband Zukunft Gas sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir beobachten sehr genau die aktuelle Versorgungslage und können zumindest kurzfristig sagen: Für Deutschland ist die Gasversorgung gesichert. Insbesondere die Heizungskunden müssen sich aufgrund ihrer besonders geschützten rechtlichen Position und des diversifizierten Gasbezuges aus anderen Ländern keine Sorgen machen.»

Was würde bei Gas-Engpässen passieren?

«In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben», sagte Kerstin Andreae vom Energieverband BDEW. Komme es doch zu einer Engpass-Situation, griffen in Europa Sicherungsmechanismen. «In jedem Fall sind Haushaltskunden und Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt.» Hinzu kämen vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit der Industrie oder ein Wechsel auf andere Energieträger. Auch dies würde dann die Gas-Nachfrage drosseln. Die genauen Abläufe in einer Krisensituation sind im «Notfallplan Gas» des Bundeswirtschaftsministeriums festgeschrieben. Er sieht drei Krisenstufen vor. Zuletzt hieß es aus dem Ministerium, dass es keine Anzeichen für einen Engpass gibt.

Was plant Russland?

Erst zwei Tage vor dem Einmarsch in die Ukraine sicherte der russische Präsident Wladimir Putin zu, trotz der schweren Krise mit dem Westen die Gaslieferungen ins Ausland nicht zu stoppen. «Russland beabsichtigt, die ununterbrochenen Lieferungen dieses Rohstoffs, einschließlich des Flüssiggases, an die Weltmärkte fortzusetzen», schrieb Putin an Teilnehmer eines Forums erdgasexportierender Länder. Moskau hat in der Vergangenheit stets betont, dass auch im Kalten Krieg in der Konfrontation zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik das Gas immer geflossen sei.

Die Frage ist aber, wie es nach dem Einmarsch nun weitergeht. Vereinzelt wurden bereits öffentlich Stimmen laut, die Energieverträge zu kündigen. Die russische Senatorin Swetlana Gorjatschewa forderte bei einer Rede im Föderationsrat, «feindliche Staaten» nicht mehr mit Öl und Gas «aufzuwärmen».

Die Bundesregierung habe bislang keine Hinweise auf Drosselungen russischer Energielieferungen, sagte Habeck. Das entsprach auch den Angaben deutscher Energieversorger vom Donnerstag.

Könnten andere Staaten aushelfen?

Auf EU-Ebene gibt es einen Solidaritätsmechanismus, unter dem EU-Länder im Ernstfall Gasreserven teilen sollen, um vor allem Haushalte vor Knappheit zu schützen. Deutschland hat dafür mit Dänemark und Österreich bilaterale Abkommen unterzeichnet. Allerdings sind auch dort die Speicherkapazitäten niedrig: In Österreich liegen sie bei 18 Prozent, in Dänemark sind die Speicher zwar halbvoll aber vergleichsweise klein. Die zwei deutschen Nachbarländer wären laut einer Analyse der Denkfabrik Bruegel auch von russischen Gaskürzungen betroffen – wie viel sie liefern könnten, ist also unklar.

Gleichzeitig bemüht sich die EU-Kommission um zusätzliche Lieferungen von Gas und Flüssiggas (LNG) in die EU. Dafür laufen nach offiziellen Angaben unter anderem Gespräche mit Aserbaidschan, Ägypten, Nigeria und Norwegen. Der norwegische Gaslieferant Equinor teilte allerdings mit, er produziere bereits bei maximaler Kapazität und es gebe nur begrenzte Möglichkeiten, die Produktion kurzfristig zu erhöhen. Die japanische Regierung hat derweil zugesichert, überschüssige Flüssiggaslieferungen, die für Japan bestimmt waren, nach Europa umzuleiten. Der Golfstaat Katar will ebenfalls überschüssige Lieferungen abgeben. Der katarische Botschafter in Berlin sagte, das Land sei grundsätzlich zu größeren Gaslieferungen an Deutschland bereit. Insgesamt sagt die EU-Kommission, dass die EU in diesem Winter selbst bei einer völligen Unterbrechung der russischen Gasversorgung auf der sicheren Seite sei.

Was macht der Gaspreis?

Im Erdgas-Großhandel sorgte der Angriff Russlands auf die Ukraine laut Marktbeobachtern für einen «dramatischen Anstieg» der Preise. Der Preis für eine im März zu liefernde Megawattstunde Erdgas stieg von 88 Euro (Mittwoch) bis zum Mittag auf über 118 Euro, sagte Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate. «Wir beobachten eine extreme Nervosität der Handelsmärkte.» Wie sich die aktuell gestiegenen Großhandelspreise auf die Haushaltskunden-Preise auswirkten, sei noch offen. Wenn sich die «Kurzfristpanik» an den Märkten wieder lege, dürfte das keine weiteren Auswirkungen haben. «Wenn es allerdings zu Einschränkungen in der Gasversorgung kommt, werden die Preise weiter steigen», sagte Lohmann. Auch der Energieversorger EnBW glaubt, dass sich dauerhaft hohe Gaspreise an der Börse mit einem Zeitversatz auf die Endkundenpreise auswirken.

Wie ist die mittel- und langfristige Strategie der Bundesregierung?

Das Ziel ist klar: Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie russischem Gas soll verringert, die Energieversorgung auf eine breitere Basis gestellt werden. So könnte es dauerhaft mehr Importe von LNG geben. Habeck will außerdem den schon seit langem geplanten Bau eines eigenen LNG-Terminals in Deutschland vorantreiben. Viele Fragen sind aber offen – genau so wie beim Bau neuer Gaskraftwerke in Deutschland. Diese sind aus Sicht der Koalition nötig, weil Ende 2022 die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen und der Ausstieg aus der Kohleverstromung auf 2030 vorgezogen werden soll.

Im Zentrum aber steht mittel- und langfristig ein deutlich schnellerer Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne in Deutschland, das soll vor allem auch die Preise dämpfen. Man müsse nun die «Schlafmützigkeit» beim Ausbau ablegen, sagte Habeck. Er will bestehende große Hemmnisse aus dem Weg räumen und etwa die Zahl der Flächen deutlich erweitern. Das bedeutet: mehr Windräder, die vor Ort aber oft umstritten sind.

Von Martina Herzog, Helge Toben, Andreas Hoenig, Laura Dubois und Christian Thiele, dpa