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Rechtfertigungsdruck: Warum Unternehmen in Russland bleiben

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Mrz 16, 2022
Das Bayer-Kreuz am Werk in Wuppertal. Das Unternehmen hält derzeit am Russland-Geschäft fest. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Oliver Berg/dpa)

Viele deutsche Konzerne von Adidas bis VW haben ihr Russland-Geschäft wegen des Ukraine-Krieges vorerst eingestellt. Andere wie Bayer, Henkel oder Metro halten daran fest.

Einfach ist das für die Firmen angesichts der allgemeinen Empörung über die russische Aggression nicht. Warum tun sie es dennoch? Geht es um die Verantwortung für Mitarbeiter und Kunden oder doch nur ums Geld?

«Unternehmen, die in Russland bleiben, stehen unter einem gewaltigen Rechtfertigungsdruck», beobachtet der Marketingexperte Karsten Kilian von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg. «Sie argumentieren oft damit, dass auch die russische Bevölkerung versorgt werden muss, aber angesichts der Not in der Ukraine ist das keine einfache Position.»

Bayer nennt Gründe, zu bleiben

Auch Handelsexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf betont: «Es ist nicht einfach zu begründen, warum man weiterhin Geschäfte in einem Land macht, dass einen Krieg angefangen hat.» Ein Unternehmen müsse schon eine sehr gute Argumentation haben, wenn es den russischen Markt weiter beliefern wolle, sonst drohe ein nachhaltiger Imageschaden. «Ganz entscheidend ist dabei, wie mit dem dort erzielten Gewinn umgegangen wird.»

Der Pharma- und Pflanzenschutzkonzern Bayer sieht für sich jedenfalls gute Gründe, in Russland aktiv zu bleiben. «Der Zivilbevölkerung wesentliche Gesundheits- und Landwirtschaftsprodukte vorzuenthalten – wie zur Behandlung von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gesundheitsprodukte für Schwangere und Kinder sowie Saatgut für den Anbau von Nahrungsmitteln – würde die Zahl an Menschenleben, die dieser Krieg fordert, nur vervielfachen», verteidigte er seine Entscheidung. Der Konzern stellte aber jegliche Werbung in Russland und Belarus ein und stoppte alle Investitionsprojekte auf unbestimmte Zeit.

Ähnlich argumentiert das Bad Homburger Dax-Unternehmen Fresenius. «Zu unserer Verantwortung als Gesundheitsunternehmen gehört auch, unsere Patienten in Russland nicht allein zu lassen, sondern weiter medizinisch zu versorgen.» Auch die Patienten dort seien auf lebenswichtige Produkte und Dienstleistungen angewiesen. Fresenius hat den Angaben zufolge rund 100 Dialysezentren für Nierenkranke in Russland, gut 3000 Menschen arbeiten in dem Land für den Konzern. Der Anteil des Russland-Geschäfts am Fresenius-Umsatz von zuletzt 37,5 Milliarden Euro liege «deutlich unter 1 Prozent.» Das ist aber immer noch viel Geld: Ein Prozent entspräche 375 Millionen Euro Umsatz.

Merck verweist auf Patienten

Der Darmstädter Pharma- und Technologiekonzern Merck verweist ebenso auf seine Verpflichtungen den Patienten gegenüber. «Unser oberstes Ziel ist es natürlich, die Sicherheit unserer Mitarbeiter sowie die Versorgung der Patienten mit unseren Medikamenten sicherzustellen», heißt es bei dem Dax-Unternehmen, das kein großes Russland-Geschäft hat. Man habe die lokalen Vorräte aufgestockt und werde diese in den kommenden Wochen noch ausbauen.

«Das Thema Rückzug aus Russland ist für die Unternehmen ein zweischneidiges Schwert. Denn es gibt für beide Entscheidungen – gehen oder bleiben – gute Gründe», meint Marketingexperte Kilian. Wichtig sei natürlich die Frage, wie bedeutend der russische Markt für das Unternehmen sei, ob nur Ware geliefert werde oder man in Russland eigene Produktionsstätten besitze und was aus den Mitarbeitern werde. Aber von großer Bedeutung sei auch die Planung für den Tag X nach dem Ende des Krieges.

Vielleicht noch stärker als Pharmahersteller stehen Einzelhändler, die noch in Russland aktiv sind, unter Erklärungsdruck. Die Großhandelskette Metro etwa, die ihre 93 Großmärkte in Russland offen hält. In einem Mitarbeiterbrief betonte der Vorstand: «Uns ist bewusst, dass die Situation unserer 10.000 Mitarbeiter in Russland in keiner Weise mit dem akuten Leid der ukrainischen Mitarbeiter vergleichbar ist, deren Leben bedroht ist. Dennoch tragen wir auch eine Verantwortung für unsere russischen Kollegen. Keiner von ihnen ist persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich.»

Russische Beschäftigte ein Thema

Die Einstellung des Geschäftsbetriebs von Metro Russland hätte den Konzernangaben zufolge erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze von 10.000 Menschen und das Geschäft von 2,5 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmern. «Deshalb haben wir uns entschieden, unser Russlandgeschäft aufrechtzuerhalten», sagte der Vorstand.

Auch die Handelskette Globus hat ihre 19 Hypermärkte in Russland offen und verweist auf die knapp 10.000 russischen Beschäftigten. Das Unternehmen wolle sie nicht für politische Entscheidungen verantwortlich machen, «denn wir nehmen auch bei ihnen einen ausgeprägten Wunsch nach Frieden wahr», sagte Globus-Chef Matthias Bruch. «Als Lebensmittelhändler sehen wir uns zudem in einer besonderen Verantwortung unseren russischen Kunden gegenüber. Wir sind mitverantwortlich für die Grundversorgung der Menschen».

Die Argumentation, dass man nicht normale russische Bürger treffen wolle, die nichts für den Krieg könnten, hat aber einen Haken, sagt Marketing-Experte Fassnacht. «Denn letztlich sollen die Sanktionen ja das ganze Land treffen und so den Druck auf Putin erhöhen.»

Vergessen werden darf auch nicht: Für die Unternehmen geht es um viel Geld. Die russische Regierung hat zuletzt mit der Enteignung von internationalen Firmen gedroht, die ihre Geschäfte in dem Land aussetzen. Das treibt die deutsche Wirtschaft um. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs waren laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) rund 3650 deutsche Firmen in Russland aktiv. Viele Firmen seien seit Jahrzehnten in Russland tätig und hätten Verantwortung für rund 280.000 Beschäftigte, sagte Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

«Letztlich muss jedes Unternehmen für sich über einen Rückzug entscheiden und die Kritik im Zweifelsfall aushalten», meint Marketing-Experte Kilian. «Wer das schafft, hat vielleicht einen Startvorteil auf dem russischen Markt, falls sich die Situation irgendwann wieder normalisieren sollte.»

Von Erich Reimann und Alexander Sturm, dpa