• Fr. Nov 22nd, 2024

Gazprom drosselt Gas-Lieferungen – Energiespar-Debatte

Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat erneut zum Energiesparen aufgerufen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Britta Pedersen/dpa)

Der russische Energieriese Gazprom hat wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream weiter reduziert.

Zugleich schließt Russland ein komplettes Runterfahren der wichtigsten Versorgungsleitung für Deutschland nicht aus. Der russische EU-Botschafter betonte am Donnerstag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, wegen der Probleme bei der Reparatur von Turbinen in Kanada könne die Leitung komplett stillgelegt werden. «Ich denke, das wäre eine Katastrophe für Deutschland», sagte er nach Angaben der russischen Zeitung «Kommersant». In Deutschland wird die Debatte ums Energiesparen lauter.

Die Gasflüsse aus der Nord Stream 1 seien gestern ab 23 Uhr auf rund 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt worden, heißt es im Lagebericht zur Gasversorgung der Bundesnetzagentur vom Donnerstag (Stand 10 Uhr). Dennoch: «Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil.» Die Behörde beobachte die Lage sehr genau und stehe in ständigem Kontakt zu den Unternehmen der Gaswirtschaft. Die Drosselung der Gasmenge fällt zusammen mit dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew. Er traf am Donnerstagmorgen gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi in Kiew ein.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Situation ernst. Seinem Ministerium zufolge ist die sichere Versorgung mit Gas aber weiter gewährleistet. «Aktuell können die Mengen am Markt beschafft werden, wenn auch zu hohen Preisen», teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Das Ministerium beobachte die Dinge sehr genau.

Entgegen der Darstellung Gazproms, der Grund für die Drosselung seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten, vermutet Habeck dahinter eine politische Entscheidung. Auch von der Bundesnetzagentur heißt es: «Einen kausalen Zusammenhang zwischen dem auf russischer Seite fehlenden Gaskompressor und der großen Lieferreduzierung können wir im Moment nicht bestätigen.»

Kremlsprecher Dmitri Peskow wies das zurück. Die Probleme hingen vielmehr mit den vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen zusammen, meinte er. «Uns ist nur bekannt, dass es dort wirklich Probleme mit den Turbinen und mit der Reparatur gab, einige Turbinen kommen nicht zurück, sie werden irgendwo zurückgehalten.»

Der russische Energieriese Gazprom hatte am Mittwoch angekündigt, die Gasliefermengen durch Nord Stream 1 nach Deutschland erneut zu reduzieren. Von der Nacht zum Donnerstag an sollten täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung gepumpt werden.

Keine Lösung in Sicht?

Nach Aussagen von Gazprom-Chef Alexej Miller ist bei der Drosselung keine Lösung in Sicht. «Die Turbine liegt in der Fabrik, Siemens kann sie nicht abholen, und nicht alle anderen Turbinen passen», sagte Miller in St. Petersburg. Die infolge von Russlands Krieg gegen die Ukraine stillgelegte Pipeline Nord Stream 2 sei theoretisch aber einsatzbereit.

Bereits am Dienstag hatte Gazprom die Reduktion des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen um rund 40 Prozent auf 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag verkündet und auf Verzögerungen bei der Reparatur von Gasverdichtern verwiesen. Der Energietechnikkonzern Siemens Energy hatte daraufhin mitgeteilt, dass eine in Kanada überholte Gasturbine aufgrund der Russland-Sanktionen derzeit nicht aus Montréal zurückgeliefert werden könne. Die neuerliche Reduktion auf 67 Millionen Kubikmeter bedeutet eine Drosselung um rund 60 Prozent innerhalb von zwei Tagen. Russland hatte immer wieder für die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 geworben.

Die Drosselung ist aus Sicht des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein Warnsignal. «Russland schürt damit leider Verunsicherung und treibt die Gaspreise hoch», sagte er der «Rheinischen Post» (Donnerstag). Wenn Gazprom über Wochen nur 40 Prozent durch Nord Stream 1 liefere, bekomme Deutschland ein Problem, sagte Müller: «Das würde unsere Situation erheblich verschlechtern.»

Angesichts des Rückgangs rief Wirtschaftsminister Habeck erneut zum Energiesparen auf. In einem am Mittwochabend über Twitter verbreiteten Video appellierte er: «Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.» Die Bundesnetzagentur «unterstützt ausdrücklich die Aufforderung, so viel Gas wie möglich einzusparen», heißt es im Lagebericht.

Temperatur-Absenkung im Mietrecht regeln

So sprach sich etwa Bundesnetzagentur-Präsident Müller für eine Absenkung der Mindesttemperatur in Wohnungen aus. «Im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsanlage während der Heizperiode so einstellen muss, dass eine Mindesttemperatur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird. Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken. Darüber diskutieren wir mit der Politik», sagte er der «Rheinischen Post» (Donnerstag). Der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, lehnte den Vorschlag ab. «Ich halte den Vorschlag, die Heiz-Vorgaben zeitlich befristet zu senken, für zu undifferenziert», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte bei einem Gasmangel eine Absenkung der Mindesttemperatur in den Wohnungen um bis zu sechs Grad Celsius: «Sollten die Gaslieferungen nach Deutschland künftig weiter deutlich eingeschränkt werden und es zu einer Mangelsituation kommen, sollte der Rechtsrahmen so angepasst werden, dass weitere Absenkungen der Mindesttemperatur auf eine maximale Untergrenze von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts möglich werden», sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Derzeit muss im Winter eine Mindesttemperatur von 20 bis 22 Grad Celsius gewährleistet werden.

Manche Länder bereits komplett abekoppelt

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Deutschland und andere europäische Staaten versuchen seitdem, ihre Abhängigkeit von russischen Gas zu verringern, indem sie mehr Gas aus anderen Staaten beziehen. Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark erhalten bereits kein Gas mehr aus Russland. Sie hatten sich geweigert, auf ein von Kremlchef Wladimir Putin Ende März angeordnetes neues Zahlungssystem umzusteigen.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni warnte erneut davor, dass die europäische Wirtschaft bei einem russischen Gaslieferstopp schrumpfen würde. Ein Lieferstopp würde mindestens in diesem Jahr zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung führen, sagte Gentiloni am Rande eines Treffens der Euro-Finanzminister.

Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas. Zuvor war schon die Leitung Jamal-Europa, die durch Polen führt, nicht mehr befüllt worden. Den Transit über die Ukraine hatte Gazprom bereits Mitte Mai gedrosselt.

Trotz der verringerten Menge kann der Bundesnetzagentur zufolge «im Moment im Saldo leicht rückläufig weiterhin Gas eingespeichert werden.» Der größte deutsche Speicher Rehden speichere aktuell mit maximaler Leistung ein. Die aktuellen Füllstände der Speicher in Deutschland liegen bei 55,95 Prozent. Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas.

Von Katharina Redanz und Helge Toben, dpa