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Wasserstraßen sollen fit für die Zukunft werden

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Jun 23, 2022
Das Modell des «Jungferngrundes» in der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uli Deck/dpa)

Gut sichtbar lagert sich das rote Granulat im Rhein ab. Oder besser: in dem Modell, das in einer Halle der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe nachgebaut wurde.

Es stellt den «Jungferngrund» am Mittelrhein auf der Strecke zwischen Mainz und St. Goar im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe dar. Hier gibt es Tiefenengpässe, die entschärft werden sollen. Das Modell simuliert den Sedimenttransport über eine detailliert nachgebildete Felssohle.

Klimawandel muss berücksichtigt werden

Die BAW forscht zu verschiedenen Fragen beim Wasserbau, erstellt Gutachten oder berät etwa das Bundesverkehrsministerium. Fragen der Umwelt beschäftigen die Expertinnen und Experten schon seit Jahrzehnten. Zunehmend kämen nun Aspekte im Zusammenhang mit dem Klimawandel hinzu, sagt BAW-Leiter Christoph Heinzelmann.

Prinzipiell gehe es bei dem Thema zum Beispiel darum, wie Schiffe mit neuen Antriebssystemen ausgestattet oder für niedrigere Wasserstände direkt anders konstruiert werden – und nicht zuletzt um die Frage des Bauens.

«Wir müssen klimafreundlicher bauen», sagt Heinzelmann. Schleusen, Wehre und andere Wasserbauwerke seien auf 100 Jahre Lebenszeit ausgelegt. «Das bedeutet viel Beton.» Dessen Herstellung ist mit hohem CO2-Ausstoß verbunden. «Wir müssen ressourcenschonender bauen und Materialien nutzen, die recycelt werden.» Manche Quellen etwa für den Betonbestandteil Flugasche, der zum Beispiel als Abfallprodukt in Kohle-Kraftwerken entsteht, würden irgendwann versiegen.

Das Problem: Viel Zeit bleibt laut Heinzelmann nicht. Niedrigwasser wie 2018 werden Prognosen zufolge zum Ende des Jahrhunderts der Regelfall sein. Und dank der Gletscher in den Alpen sei der Rhein noch privilegiert. «Wir müssen schnell Lösungen ausprobieren», mahnt der BAW-Chef. «Wir dürfen keine Zeit verlieren.»

200 Millionen Tonnen Fracht

Das Netz der Bundeswasserstraßen ist rund 7300 Kilometer lang. Jährlich werden hier laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) etwa 200 Millionen Tonnen Fracht transportiert. «Die Binnenschifffahrt trägt damit entscheidend zu einer Verkehrsentlastung von Straße und Schiene bei», betont eine Sprecherin. Ein modernes Binnenschiff ersetze 150 Lastwagen.

«Bei den Bundeswasserstraßen gibt es deutlich freie Kapazitäten für weitere Schiffe», sagt Hans-Heinrich Witte, Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. Die Binnenschifffahrt leiste «einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele».

Nutzungsdauer erreicht oder überschritten

Doch rund 60 Prozent der 315 Schleusenanlagen und etwa die Hälfte der 307 Wehranlagen, die die WSV betreibt, wurden vor 1950 errichtet. Etwa 10 Prozent der Wehre und bis zu 20 Prozent der Schleusen stammen den Angaben nach sogar aus einer Zeit vor 1900. Bei vielen Anlagen ist die reguläre Nutzungsdauer also erreicht oder überschritten.

Für die anstehenden Maßnahmen ist der Sprecherin zufolge ein Budget von 1,7 Milliarden Euro jährlich erforderlich. Diese Summe soll es in diesem Jahr laut Bundesverkehrsministerium auch geben. Das wären einem Sprecher zufolge rund 18 Prozent mehr als 2021. «Für das Haushaltsjahr 2023 und die Finanzplanung bis 2026 wird der Regierungsbeschluss zurzeit vorbereitet.» Beim Ermitteln des Bedarfs werde auch das Thema Widerstandsfähigkeit gegen Folgen des Klimwawandels berücksichtigt. Ein Expertennetzwerk berät das Ministerium dabei.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) sieht jedoch ab 2023 eine drohende Unterfinanzierung von rund 500 Millionen Euro pro Jahr. «Hier muss die Regierung dringend gegensteuern, damit der Binnenschifffahrt künftig eine moderne und bedarfsgerechte Infrastruktur zur Verfügung steht», so ein Sprecher. «Schließlich sind die Emissionsreduktionsziele im Verkehrssektor in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht ohne eine zunehmende Verkehrsverlagerung auf die umweltschonende Binnenschifffahrt erreichbar.»

«Wir wollen einen Quantensprung machen»

Das Problem für die Ingenieure ist nur, dass Binnenschiffe anders als Lastwagen und Güterzüge bei Bauarbeiten nicht kurze Umleitungen oder Weichen nehmen können. Und oftmals hätten Schleusen nur eine Kammer, erläutert BAW-Leiter Heinzelmann. Um nicht den kompletten Verkehr zu stoppen, soll künftig nachts saniert und tagsüber geschleust werden.

«Wir wollen einen Quantensprung machen», sagt Heinzelmann. Getestet wird das Vorgehen am Neckar: Hier hätten viele Schleusen zwei Kammern, so dass eine in dem neuen Verfahren instandgesetzt werden kann und durch die andere Schiffe wie gewohnt passieren.

Das Hauptproblem, das Heinzelmann mit Blick auf den Klimawandel sieht, ist Niedrigwasser. Dieses werde immer häufiger über längere Zeiträume anhalten. Hochwasserereignisse wie im Ahrtal vergangenes Jahr seien von relativ kurzer Dauer. Gravierende Folgen gebe es zudem eher an kleineren Flüssen, nicht an den großen Wasserstraßen.

«Der Schifffahrt wäre schon geholfen, wenn man ihr verlässlichere Wasserstandsvorhersagen anbietet», sagt Heinzelmann. Mit Baumaßnahmen kann ein Fluss ein Stück weit geleitet werden, so dass die Fahrrinne tiefer wird. So wie beim Projekt «Abladeoptimierung Mittelrhein» in der Karlsruher Halle. Hier geht es um 20 Zentimeter mehr.

Laut BDB ist dies ein hervorzuhebendes Vorhaben aus einer ganzen Reihe wichtiger Wasserstraßeninfrastrukturprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030. «Durch diese Maßnahme würde ein bestehender Engpass auf dem Rhein beseitigt und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, Binnenschiffe auch bei niedrigen Wasserständen länger und mit besserer Auslastung in Fahrt halten zu können», erklärt ein Sprecher. «Transporte auf dem Rhein werden so künftig besser plan- und durchführbar, auch bei Niedrigwasser.»

Von Marco Krefting, dpa