Die Flut des vergangenen Sommers wird nach Einschätzung von Deutschlands größtem Versicherer Allianz keine einmalige Katastrophe bleiben. «Wir werden zu unseren Lebzeiten noch das eine oder andere Ereignis dieser Art in Deutschland sehen», sagte Jochen Haug, Chef der Schadenabwicklung der Allianz. «Hoffentlich nicht ganz so schlimm wie im Ahrtal, aber solche extremen Wetterereignisse werden statistisch häufiger.»
Große Versicherungen analysieren in großem Umfang Schadendaten inklusive Naturkatastrophen, da dies für die Berechnung von Risiken und Versicherungsbeiträgen gleichermaßen von Bedeutung ist. «Wir beobachten nun häufiger, dass Gewitterzellen nicht mehr wandern beziehungsweise sich nur sehr langsam fortbewegen», sagte Haug. «Wenn ein starkes Gewitter stehen bleibt, führt das zu einer dramatischen Niederschlagsmenge in einem kleinen Gebiet.»
Über 180 Tote, etwa 30 Milliarden Euro Gesamtschaden
Die Flut im Juli vergangenen Jahres hatte über 180 Tote gefordert und einen Gesamtschaden von an die 30 Milliarden Euro verursacht. Versicherer trugen davon über acht Milliarden, der Rest war nicht versichert. «Bei der Schadenregulierung haben wir die Kfz- und Hausratschäden nahezu komplett abgeschlossen», sagte Haug. «Bei den Gebäudeschäden sind knapp 20 Prozent noch nicht vollständig reguliert.»
Dies sei aber eine stark abflachende Kurve. «Wir gehen davon aus, dass die meisten Dinge bis zum Jahresende geregelt sein sollten, also die wesentliche Wiederherstellung und Wohnbarmachung der Gebäude.»
Dass die Schadenbearbeitung bei den Gebäuden dauert, liegt nach Haugs Worten an mehreren Faktoren: «Zum Verständnis: Wenn ein Gebäude zerstört ist und der Grund weggespült, ist die Wiederherstellung schwierig.» Bei manchen Gebäuden sei auch noch nicht klar, ob sie an alter Stelle wieder errichtet werden könnten.
Haug: Wiederherstellung der Infrastruktur dauert
Es dauere, bis Strom- und Wasseranschlüsse und öffentliche Infrastruktur wieder hergestellt sind.» Zudem macht das Ausmaß der Zerstörung es nach Haugs Worten unmöglich, alle Schäden gleichzeitig zu reparieren: «Selbst wenn völlig klar ist, dass der Versicherer für den Schaden einsteht, dauert es, bis Sie einen Handwerker bekommen.» Auch die vollständige Trocknung der Gebäude dauere viele Monate. «Nach so starken Zerstörungen kann es mehrere Jahre dauern, bis alles wieder vollständig hergestellt ist.»
Die Warnketten für die Bürger sollten deutlich verbessert werden, sagte Haug – «nach meiner Überzeugung hätten viele Menschen nicht sterben müssen.» Aber auch mit einem perfekten Warnsystem hätten nicht alle Schäden verhindert werden können. «Ein Auto können Sie wegfahren, aber ein Haus nicht wegbewegen. Das Gefährlichste im Ahrtal waren die sogenannten Flutgeschosse im Wasser – in der reißenden Strömung treibende Gegenstände wie Baumstämme oder Autos.» Die Allianz sei grundsätzlich gut aufgestellt für Naturkatastrophen – «aber Extremwetterereignisse wie «Bernd» zeigen uns, wo wir Prozesse ändern oder anpassen müssen», sagte Haug.
Krisen-Konzept angepasst
Die Allianz hat demnach ihr Konzept für große Krisen angepasst. «So beschaffen wir Trocknungsgeräte und Notstromaggregate bei Bedarf selbst, weil diese dann sehr rasch am Markt nicht mehr verfügbar sind.» Nach dem Sturmtief «Bernd» lieferte die Allianz nach Haugs Worten unter anderem 2000 Trocknungsgeräte und 100 Notstromaggregate an die Kunden, Sachverständige wurden aus anderen Regionen hinzugeholt.
«Diese Katastrophe war auch für uns unglaublich bedrückend. Wir gehen im Alltag nicht mit einer so hohen Zahl an Todesopfern und Katastrophen dieser Größenordnung um», sagte der Manager. «Wir hatten in kurzer Zeit 23.000 Schadenmeldungen, waren mit über 300 Sachverständigen und unseren teilweise selbst vom Unglück betroffenen Agenturen vor Ort und haben uns auch psychologisch nicht nur um unsere Kunden, sondern auch um unsere Mitarbeiter gekümmert.»