Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sichert der deutschen Wirtschaft «größtes Tempo» bei der kurzfristigen Sicherung der Gaslieferungen und dem Aufbau einer CO2-neutralen Energieversorgung zu. «Unsere ehrgeizigen Ziele können nur mit größtem Tempo erreicht werden», sagte Scholz am Freitag in München nach einem Treffen mit den vier Spitzenverbänden.
Bei der Versorgung mit Gas werde die Regierung «in nicht gekanntem Tempo» versuchen, Flüssiggas-Terminals an der norddeutschen Küste und Gasleitungen bauen zu lassen. «Mein Ziel: Wir werden uns den Schneid nicht abkaufen lassen.»
An diesem Montag wird die Pipeline Nord Stream 1 durch die Ostsee wegen seit Monaten angekündigter Wartungsarbeiten abgeschaltet. Eine akute Sorge ist, dass Russland den Gashahn auch nach Abschluss der Wartung nicht mehr aufdrehen könnte. Der Industrieverband BDI, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) forderten in einer gemeinsamen Erklärung eine stabile Gasversorgung.
Kürzere Genehmigungsverfahren gefordert
Eine weitere Hauptforderung: die Verkürzung bisher Jahre oder Jahrzehnte dauernder Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastruktur, Gebäude und technische Anlagen auf wenige Monate. Sollte eine solche Beschleunigung nicht kommen, prophezeiten die vier Spitzenverbände das Scheitern zentraler Vorhaben der Bundesregierung: «Ambitionierte Ziele des Klimaschutzes oder der Digitalisierung bleiben so unerreichbar», hieß es in der gemeinsamen Stellungnahme.
Kritik an der Bundesregierung kam von der Wirtschaft jedoch nicht. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer als Gastgeber betonte, Wirtschaft und Politik könnten die Herausforderungen «nur gemeinsam» lösen. «Noch nie war das Gespräch mit dem Bundeskanzler so wichtig wie in dieser Zeit.»
BDI-Präsident Siegried Russwurm hält einen Stopp der russischen Gaslieferungen für nicht ausgeschlossen. «Die Entscheidung liegt bei einem Mann im Kreml», sagte Russwurm vor dem Treffen mit Scholz. «Man muss sich vorbereiten aufs Schlimmste, aufs Beste hoffen und die Krise nicht herbeireden.»
Sorgen im Süden
Besonders in Süddeutschland mit seinen großen Industriestandorten gibt es Sorgen, dass bei einer Einstellung der russischen Lieferungen der Druck im deutschen Gasnetz nicht mehr ausreichen könnte, um eine stabile Versorgung zu gewährleisten. «Das kann durchaus sein», sagte Russwurm dazu. «Was bei einem grundsätzlichen Gasmangel in diesem Gasnetz passiert, da gibt’s keine Erfahrungswerte.»
Russwurm regte darum an, abgesehen von neuen Leitungen aus dem Westen und Norden kurzfristige Ersatzlösungen zu prüfen: «Wir tun in Bayern gut daran, zu überlegen, ob’s nicht auch andere Verbindungen gibt, die man relativ kurzfristig noch ertüchtigen kann, zum Beispiel Verbindungen nach Norditalien.» Vielleicht sei das Flüssiggasterminal in Triest der bessere Einspeisepunkt.
Auswirkungen hat die Stabilität der deutschen Gasversorgung nach Russwurms Worten auch auf Nachbarländer: «Man muss das Ganze im europäischen Kontext sehen», sagte der BDI-Cef. «Unsere Nachbarn im Süden und im Osten, die Österreicher, Tschechien, die hängen teilweise an unseren Leitungen, und wir in Bayern umgekehrt lose an den italienischen.» Was immer in Deutschland entschieden werde, müssen mit den Nachbarn abgestimmt werden.