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Die anonymisierte Bewerbung hat einen schweren Stand

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Sep 15, 2022 ,
Studien zeigen, dass anonymisierte Bewerbungen für fairere Chancen sorgen. Im Ausland ist das Verfahren oft der Standard. Doch in Deutschland gibt es noch immer viele Bedenken. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Schierenbeck/dpa)

«Wenn Sie Yilmaz heißen, dann müssen Sie in Deutschland deutlich mehr Bewerbungen schreiben als mit dem Namen Schmidt – und das bei exakt gleicher Qualifikation. Studien zeigen das leider immer wieder», sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman. Etwa ein Viertel der Diskriminierungserfahrungen im Arbeitsleben würden in der ersten Phase, während der Arbeitssuche und Bewerbung, gemacht.

Ein Experiment erregte 2016 Aufsehen: Eine Wissenschaftlerin verschickt rund 1500 Bewerbungen – mal mit typisch deutschen Namen, mal mit typisch türkischen Namen und verschiedenen Fotos. Mit und ohne Kopftuch. Das Ergebnis: Eine Bewerberin ohne Kopftuch und Migrationshintergrund hatte die besten Chancen auf eine Stelle.

Eine Lösung können anonymisierte Bewerbungen sein, bei denen Personaler zum Beispiel nicht das Alter oder das Geschlecht des Bewerbers kennen. Heute steht zwar pflichttreu in Stellenausschreibungen «m/w/d» (männlich/weiblich/divers), aber die anonymisierte Bewerbung hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt. Anders sieht das im englischsprachigen Raum aus.

Arbeitgeber scheuen den Aufwand

«Die USA und Großbritannien haben schon in den 60ern einzelne Aspekte wie das Foto in Bewerbungen rausgenommen», sagt Veronika Kneip, Professorin für Human Resource Management und Organisation an der Frankfurt University of Applied Sciences. Für die schleppende Entwicklung bei diesem Thema in Deutschland gebe es verschiedene Gründe. «Die Arbeitgeber scheuen zum einen den Aufwand, den anonymisierte Verfahren bedeuten», sagt Kneip.

Für das Verfahren, das Chancengleichheit ermöglichen soll, müssen etwa neue Formulare aufgesetzt oder Angaben geschwärzt werden. Bei Bewerberinnen und Bewerbern sowie Personalverantwortlichen kommt das laut Kneip nicht immer gut an: «Diejenigen, die auswählen sind auch von ihrer Urteilskraft überzeugt.» Viele Personaler glaubten, dass sogenannte Biases – unbewusste Vorurteile etwa durch Sozialisation und Erziehung – nicht in ihre Entscheidungen einfließen. Auf der Bewerberseite sei dagegen vieles einfach Gewohnheit. «Und diejenigen, die keine Diskriminierung erfahren haben, wollen unter Umständen mit Dingen wie einem Bewerbungsfoto punkten, über das sie sich selbst positiv inszenieren können», sagt Kneip.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) testete das Verfahren der anonymisierten Bewerbung vor mehr als zehn Jahren zusammen mit mehreren Unternehmen und Verwaltungen. 2012 stellte die ADS im Abschlussbericht fest: «Bei Anonymisierung herrscht tendenziell Chancengleichheit für alle Bewerbendengruppen». Der Versuch habe auch gezeigt, dass Frauen im Vergleich zum herkömmlichen Verfahren bessere Chancen auf eine Einladung zu einem Gespräch hätten.

Anonymisierte Bewerbungsverfahren international Standard

Peter Wald, Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, hält den Aufwand für die größte Hürde. «Gerade bei den KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen) ist Recruiting oft kein professionelles Geschäft. Ein aufwendigeres Verfahren lehnen sie daher ab.» Der Fachkräftemängel könnte aus seiner Sicht weitere Vorbehalte gegenüber dem Verfahren schüren. «Die Unternehmen glauben möglicherweise, dass sie wegen der Anonymisierung weniger Bewerbungen bekommen», sagt Wald.

Deutsche Unternehmen setzen auf Freiwilligkeit

«International sind anonymisierte Bewerbungsverfahren eigentlich der Standard, sei es teilweise oder komplett anonymisiert», sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman. Deutschland hinke diesbezüglich hinterher. Ihrer Ansicht nach könnte das anonymisierte Verfahren für die Arbeitgeber einen «eindeutigen Wettbewerbsvorteil» schaffen. «In Zeiten des Arbeitskräftemangels senden Unternehmen damit das Signal, offen für alle Gruppen zu sein und diskriminierungsbewusst auszuschreiben.»

Viele deutsche Unternehmen setzen auf Freiwilligkeit bei der Preisgabe von Daten in Bewerbungen. «Die freiwilligen Angaben sind unter anderem das Geschlecht, Geburtsdatum und der Familienstand», sagt ein Sprecher der Deutschen Bank. Auch ein Foto sei freiwillig und häufig enthielten Bewerbungen dies nicht mehr. «Ob ein Foto mitgeschickt wird, ist den Bewerbenden ebenso überlassen», heißt es von Bosch. Gleiches gelte für die Angaben im Lebenslauf.

Der Konsumgüter-Konzern Procter & Gamble (P&G) war Teil des ADS-Pilotprojekts zu anonymisierten Bewerbungen. Nach den Erfahrungen von damals heißt es heute bei dem Unternehmen: «Einzig Angaben zum Geschlecht werden von uns erfasst, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Gesprächssituation im Interview».

Auch die Deutsche Telekom beteiligte sich an dem Pilotprojekt. Ein Sprecher sagt: «Im Ergebnis haben wir gesehen, dass unser Bewerbermanagement die Chancengleichheit und die gewünschte Vielfalt bereits gewährleistete. Bei uns war der Anteil an Besetzungen der Zielgruppen nach anonymisierter Bewerbung auf gleichbleibend hohem Niveau.»

Der Pharma- und Pflanzenschutzkonzern Bayer kündigte an, in Deutschland ab November ein weitgehend anonymisiertes Bewerbungsverfahren einführen zu wollen. Zwar müssten Bewerber ihre persönlichen Daten angeben, dies diene aber nur dazu, um die Angaben im Lebenslauf und Zeugnisdokumenten überprüfen zu können, sagt ein Sprecher. «Die Führungskraft, die eine Stelle zur Besetzung ausgeschrieben hat, sieht von den Bewerbern nur deren Qualifikationen und Berufserfahrung.» Erst nach einer Einladung zum Interview erhalte sie die vollständigen Daten eines Bewerbers.

Der Arbeitgeberverband BDA will, dass es beim Prinzip der Freiwilligkeit bleibt. «Jedes Unternehmen muss die Entscheidung, ob es anonymisierte Bewerbungen akzeptiert oder nicht, individuell treffen können», teilt die BDA mit. In der betrieblichen Praxis gewännen solche Verfahren immer mehr an Beliebtheit.

Von Vanessa Reiber, dpa