Angesichts einer fehlenden Öffnungsperspektive für viele Unternehmen und einer schleppenden Impfkampagne wächst in der Wirtschaft die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik. Der Groß- und Außenhandelsverband BGA forderte mehr Einbindung von Wirtschaftsvertretern.
«Die deutsche Wirtschaft kann Krisen lösen, sie tut es jeden Tag auf der ganzen Welt», schrieb BGA-Präsident Anton Börner in einem Gastbeitrag für die «Bild am Sonntag, BamS». «Dass sie nicht in das Corona-Krisen-Management der EU, der Bundesregierung und der Bundesländer einbezogen wird, ist skandalös.»
Experten aus der Wirtschaft würden bei den Themen Impfkampagne und Öffnungsstrategie nicht involviert, kritisierte Börner. «Stattdessen scheitert der Staat mit einer planwirtschaftlichen Intervention nach der anderen. Probleme sollen wegverwaltet und mit immer neuen Verordnungen bekämpft werden.» Der BGA-Chef forderte einen runden Tisch mit Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Auch der ehemalige Manager und Unternehmer Roland Berger kritisierte die Corona-Maßnahmen. «Was die Teil-Lockdowns im Oktober und November und den aktuellen Dreiviertel-Lockdown betrifft, würde ich eher die Note Vier vergeben», sagte der 83-Jährige der «Augsburger Allgemeinen» (Montag). «Es wäre vermutlich besser gewesen, das Land für sechs Wochen im Dezember und Januar komplett dichtzumachen.» Stattdessen habe man nun «einen Schrecken ohne Ende».
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder beraten an diesem Mittwoch über das weitere Vorgehen in der Pandemie und über mögliche Öffnungsschritte. Die Beratungen fallen in eine Phase, in der die Zahl der Neuinfektionen nach wochenlangem Rückgang langsam wieder steigt und ansteckendere und wohl auch gefährlichere Virus-Mutationen weiter um sich greifen. Am Montag öffnen bundesweit zumindest die Friseure, in einigen Ländern auch vereinzelt andere Geschäfte wie Gartenmärkte.
Der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Rainer Kirchdörfer, warnt vor einer schwindenden Zustimmung für den Kurs der Regierung. «Viele Unternehmen geraten an Grenzen, die Stimmung kippt», sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Auch der Chef der größten deutschen Buchhandelskette Thalia, Michael Busch, findet deutliche Worte. «Der Handel stirbt, die Innenstädte sterben. Und die Bundesregierung schaut quasi tatenlos zu», sagte Busch der «BamS». Er forderte mehr Finanzhilfen für den Handel.
Immerhin: Seit Samstag können Unternehmen auch November- und Dezemberhilfe über der bisherigen Grenze von zwei Millionen Euro beantragen. Die Möglichkeit sei freigeschaltet, teilte das Wirtschaftsministerium in Berlin mit. Möglich sind Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahreszeitraum. Auch entgangene Gewinne könnten nun berücksichtigt werden – nicht nur Verluste. Ausgezahlt seien bisher rund 7,2 Milliarden Euro November- und Dezemberhilfe.
Während Teile der Wirtschaft mehr Einbindung und Hilfe fordern, gibt es aber auch Rufe nach Engagement der Unternehmen – etwa beim Impfen. «Alle Betriebe mit Werksärzten sollten ihren Beschäftigten entsprechend der vorgegebenen Priorisierungsgruppen in den kommenden Monaten ein Impfangebot machen können», sagte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, am Samstag. Die Unternehmen müssten ihren Teil zum Schutz der Belegschaft und zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. Dabei stünden nicht nur große Konzerne in der Pflicht, sondern auch mittelständische Unternehmen. «Die Wirtschaft muss der öffentlichen Hand unter die Arme greifen, damit wir keinen Impfstau erleben. Im Kampf gegen die Pandemie ist Schnelligkeit gefragt.»