Erst fehlten die Lastwagenfahrer, dann die Eier, nun die Tomaten. Während in Deutschland bloß vorübergehend in der Pandemie mal Nudeln oder Klopapier ausgingen, ist die Mangelwirtschaft in Großbritannien mittlerweile keine Seltenheit mehr. Schilder mit der Aufschrift «Three items per customer» («Drei Stück pro Kunde») prangten zuletzt an vielen Gemüseregalen in britischen Supermärkten. Experten spekulieren schon, was als nächstes knapp werden könnte.
Was schon alles gefehlt hat
Im Herbst 2021 waren die Tankstellen zeitweise ohne Benzin. Ein Jahr später wurden die Eier und Weihnachtstruthähne knapp. Außerdem mangelt es an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften, vor allem in Dienstleistungsberufen und der Gastronomie. Nun fehlt also auch das Gemüse – und das nicht zum ersten Mal. Nachdem die Brexit-Regeln erstmals in Kraft traten, klafften ebenfalls Lücken in den Regalen.
Woran das liegt
Die Ursachen für den Mangel sind vielfältig: Das Benzin fehlte damals vor allem, weil nach Brexit und Pandemie nicht mehr genug Lastwagenfahrer da waren, die den Sprit von A nach B fuhren. Bei Eiern und Truthähnen waren enorm viele Ausbrüche der Vogelgrippe dafür verantwortlich, dass viele Tiere getötet wurden. Beim Gemüse müssen sich die Briten hinten anstellen, weil die Ernte dürre- oder wetterbedingt geringer ausfiel als üblich.
«Der Brexit ist ein Verstärker», sagt der Chef der Deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in London, Ulrich Hoppe, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Es sei schwieriger und teurer geworden, ins Vereinigte Königreich zu exportieren. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteige, seien andere Länder zuerst dran. Was den Fachkräftemangel angehe, sind die Hürden für ausländische Arbeitskräfte durch Visa-Regeln höher geworden.
Was als nächstes fehlen dürfte
Fragt man Insider, was als Nächstes knapp werden könnte, kommen gleich mehrere Vermutungen. Der Handelsverband British Retail Consortium hält wegen schlechter Ernten in den Anbauregionen Engpässe beim Olivenöl für möglich – genauso wie der britisch-deutsche Ökonom Andrew Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrt und zusätzlich noch importierten Käse auf die Liste der möglichen gefährdeten Waren setzt.
Bei zu erwartenden zunehmenden Extremwetterereignissen werde jeder Schock in den Lieferketten Großbritannien härter treffen als EU-Länder, so Lee im Gespräch mit der dpa. «Großbritannien kann dann zwar mehr Cheddar verkaufen, aber ob das das Ausbleiben der EU-Käse-Importe ausgleichen kann, ist fraglich – und ob die Kunden nur britischen Käse essen wollen, ist eine ganz andere Frage.»
Der Bauernverband National Farmers Union rechnet außerdem damit, dass die Engpässe bei Tomaten und Gurken bleiben, da auch die Ernte der heimischen Sorten über die Jahre hinweg immer dünner ausfalle. Die Bauern gehen davon aus, dass sich bei Tomaten und Gurken die Saison 2022 nach finaler Auszählung als jene mit der niedrigsten Ausbeute seit Beginn der Aufzeichnungen vor fast 40 Jahren herausstellen wird. Bei Birnen und Paprika sieht die Tendenz ähnlich aus. «Die Lebensmittelsicherheit in Großbritannien ist vorbei. Die Regierung muss das ernst nehmen», sagte der Vize-Präsident des Verbandes, David Exwood.
Warum sich das erstmal nicht ändern dürfte
Dafür gibt es mehrere Gründe – einer davon ist der Brexit. Experte Hoppe von der Außenhandelskammer schätzt, dass Großbritannien dadurch immer etwa 10 bis 15 Prozent stärker betroffen ist als EU-Länder. «Der Brexit hat das Risiko des Auseinanderbrechens von Lieferketten erhöht», meint er. Bislang weist die britische Regierung die Idee, eines Tages zumindest dem EU Binnenmarkt wieder beizutreten, weit von sich. Zudem sorgen durch den Klimawandel verstärkte Dürren und andere Extremwetterereignisse dafür, dass Bauern häufiger arge Probleme mit ihren Ernten haben.
Auch Deutschland wird nicht ganz verschont bleiben
Von den Auswirkungen des Klimawandels und weltweiter Störungen der Lieferketten – etwa durch Sanktionen oder Konflikte – bleibt auch Deutschland nicht verschont. Auch als in Großbritannien die Fernfahrer rar waren, wiesen Branchenverbände darauf hin, dass in Deutschland ebenso Zehntausende Kräfte fehlen und sich der Mangel noch verstärken werde. Durch die zusätzlichen Hürden zeigt sich in Großbritannien häufig bloß wie unter dem Brennglas, in welchen Bereichen es später auch anderswo hapern könnte.