Thyssenkrupp-Konzernchefin Martina Merz hört vorzeitig auf. Sie habe den Personalausschuss des Aufsichtsrats um eine zeitnahe Auflösung ihres Vertrages gebeten, teilte das Unternehmen überraschend in Essen mit. Der Ausschuss hat dem Aufsichtsrat bereits einen Nachfolger vorgeschlagen. Demnach soll der derzeitige Interimschef des Autozulieferers Norma Group, Miguel Ángel López Borrego, zum 1. Juni neuer Vorstandschef werden.
Merz (60) ist seit Oktober 2019 Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp. Die gelernte Maschinenbauingenieurin hatte den Konzern in schwieriger Lage übernommen. Erst vergangenes Jahr im Mai war ihr Vertrag bis 2028 verlängert worden.
Die Börse reagierte negativ auf die Bekanntgabe des Wechsels an der Unternehmensspitze. Thyssenkrupp-Papiere sackten um über 12 Prozent auf rund 6,40 Euro ab und waren damit der mit Abstand schwächste Wert im Börsensegment MDax. Investoren befürchteten nun weitere Verzögerungen bei der wichtigen Restrukturierung des Konzerns, sagte Frederik Altmann von Alpha Wertpapierhandel.
López Borrego (58) studierte den Angaben zufolge nach seinem Abitur in Hessen Betriebswirtschaft in Mannheim und Toronto. Seine berufliche Laufbahn begann der in Deutschland geborene Spanier als Controller beim Autoelektronikhersteller VDO. Bei Siemens war er Finanzvorstand verschiedener Geschäftseinheiten. Von 2018 bis 2022 war er Chef von Siemens Spanien und Vorsitzender des Direktoriums von Siemens-Gamesa Renewable Energy.
López Borrego laut Russwurm sehr erfahrener Finanz-Experte
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm bezeichnete López Borrego als «international geprägten Manager mit breiter Industrieerfahrung auf den Gebieten Digitalisierung und Industrie 4.0». Auch sei er ein sehr erfahrener Finanz-Experte. «Mit ihm an der Spitze werden wir den Weg der Transformation auf Basis der entwickelten strategischen Linien fortführen.» Dies sei herausfordernd, aber notwendig, da der Umbau von Thyssenkrupp noch nicht abgeschlossen sei. Der Stahl- und Industriekonzern wird seit einiger Zeit zu einer «Group of Companies» umgebaut, bei der die einzelnen Geschäfte selbstständiger agieren sollen als früher.
Auch die Krupp-Stiftung, mit rund 21 Prozent größte Anteilseignerin von Thyssenkrupp, befürwortet ein Festhalten an der Strategie. Sie sei nach wie vor überzeugt, dass Thyssenkrupp mit dem von Merz eingeschlagenen strategischen Kurs nachhaltig wettbewerbs- und langfristig dividendenfähig werden könne, sagte die Kuratoriumsvorsitzende Ursula Gather laut einer Mitteilung.
IG Metall: «Die Zeit drängt»
Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner drängt zur Eile: «Jetzt geht es darum, dass wir unter einer neuen Führung schnell ins Handeln kommen.» Der neue Vorstandsvorsitzende López Borrego werde nicht viel Zeit zum Einarbeiten haben. «Die Probleme liegen auf dem Tisch, die Zeit drängt.» Die IG Metall erwarte, dass der Vorstand schnell Lösungskonzepte entwickele und die Arbeitnehmerseite dabei eng einbeziehe: «Wir sind bereit, Zukunftsoptionen für jedes Geschäft zu prüfen, doch wir werden jedes Konzept an der Perspektive für Zukunftsfähigkeit der Geschäfte und die Sicherheit der Arbeitsplätze messen.»
Die IG Metall hatte die von Merz forcierte Struktur von Thyssenkrupp als Gruppe weitgehend selbstständiger Unternehmen zuletzt deutlich kritisiert. «Das Konzept der „Group of Companies“ ist für uns gescheitert!» hieß es in einem Schreiben der Arbeitnehmerseite an die Thyssenkrupp-Betriebsräte nach der Aufsichtsratssitzung Ende März. In allen Bereichen gebe es Ideen und Konzepte, das Geschäft nach vorne zu stärken. Der Konzern sei aber nicht in der Lage, Perspektiven für alle Geschäfte zu verwirklichen. Seit Monaten fehle ein Gesamtkonzept des Vorstandes. «Seit letztem Herbst hat sich nichts bewegt, und es ist wieder unnötig Zeit verloren gegangen. Das ist nicht akzeptabel!», hatten die IG-Metall-Arbeitnehmervertreter geschrieben.
Merz will Weg für neue Phase freimachen
Russwurm, der auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ist, lobte Merz. Sie habe in herausfordernder Zeit eine sehr schwierige Aufgabe übernommen und mit hohem Einsatz und großer Kompetenz einen umfassenden Veränderungsprozess bei Thyssenkrupp auf den Weg gebracht. «Ihre Zieldefinition, wonach die bestmögliche Weiterentwicklung der Geschäfte im Zweifel wichtiger ist als die Eigentümerstruktur, wurde auch von den Aktionären bei der Hauptversammlung im Februar 2023 klar unterstützt», betonte er. Man respektiere ihre Entscheidung, sich jetzt aus der Führung zurückzuziehen.
Merz sagte laut der Mitteilung: «Wesentliche strategische Weichenstellungen sind erfolgt.» Für die Verselbstständigung der Stahlsparte seien vielversprechende Gespräche mit möglichen Partnern aufgenommen worden. «In der jetzt anstehenden Phase stehen finanzielle Expertise und die weitere Verbesserung der Performance im Vordergrund. Da sind zusätzliche kaufmännische Kompetenzen sicher nützlich.» Für diese Schwerpunktsetzung wolle sie im Interesse des Unternehmens den Weg öffnen.