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Die Krawatte im Niedergang

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Mrz 11, 2024 , , ,
Die Arbeit im Honeoffice ist eine unerfreuliche Entwicklung für Krawattenhersteller, denn nur die allerwenigsten Männer legen daheim den gleichen Wert auf Chic wie im Büro. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Carsten Hoefer/dpa)

Die Lockerung der Kleiderordnung in Unternehmen weltweit zieht einen dramatischen Einbruch der Ein- und Ausfuhren von Krawatten nach sich: In den zehn Jahren von 2014 bis 2023 sind die Importe nach Deutschland um zwei Drittel geschrumpft. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor, die der Modeverband Germanfashion zur Verfügung stellte. Demnach wurden 2014 noch 14,4 Millionen Krawatten und Schleifen – der textile Fachbegriff für Querbinder und Fliegen – in die Bundesrepublik importiert,  2023 waren es nur noch knapp 4,8 Millionen. Auch die Ausfuhren sind um knapp 60 Prozent von 5,2 auf 2,1 Millionen Stück geschrumpft.

Krawatten-Hersteller Ascot: Hohe Exportquote

«Wir befinden uns in einem äußerst schwierigen Fahrwasser, das wir in den letzten Jahren durch mehr Internationalität und durch höhere Diversifizierung meistern», sagt Jan Moese, Chef des Krefelder Krawattenherstellers Ascot. Das auf hochwertige Krawatten aus Seide spezialisierte Unternehmen ist mit seiner Schwesterfirma Hemley nach Moeses Angaben der einzig verbliebene Hersteller, der noch in Deutschland produziert. 

Doch auch mit dieser Sonderstellung ist der deutsche Markt allein zu klein. «Wir haben mittlerweile eine Exportquote von über 50 Prozent und bieten neben Krawatten zahlreiche andere Herrenaccessoires an, die wir, soweit es möglich ist, selber herstellen, ansonsten aber auch zukaufen oder bei Partnern herstellen lassen», sagt der Chef des 1908 gegründeten Familienunternehmens.

Homeoffice und Krawatte? Eher nicht

Auch die Arbeit im Heimbüro ist eine unerfreuliche Entwicklung für Krawattenhersteller, denn nur die allerwenigsten Männer legen daheim den gleichen Wert auf Chic wie vor den Augen der Kolleginnen und Kollegen im Büro. Der Trend zu Casualwear bei der Arbeit und im Homeoffice sei ungebrochen, Krawatten würden nur noch wenig getragen, meint Axel Augustin, der Geschäftsführer des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren in Köln.

«Leider ist der Markt für Krawatten weltweit schwierig, obwohl es natürlich nationale Unterschiede gibt», sagt Ascot-Geschäftsführer Moese. Für Ascot lohnt sich die Krawattenherstellung demnach aber nach wie vor: «Richtig ist aber auch, dass der hochwertigere Markt zwar eine winzige Nische ist, aber aufgrund von Krawattenaficionados, die aus Leidenschaft Krawatte tragen, sowie Kunden, die für festliche Anlässe kaufen, für eine Manufaktur wie uns nach wie vor sehr lukrativ ist.»

Doch Dutzende anderer deutscher Krawattenhersteller haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgegeben. Manche Fachleute machen die US-Technologieindustrie verantwortlich, deren Chefs in den 1970-er Jahren auf Krawatten verzichteten und damit zu modischen Trendsettern in der Geschäftswelt wurden. Manchmal wird auch der italienische Modemacher Giorgio Armani zum Schuldigen erklärt, weil dieser den Anzug mit dem T-Shirt kombinierte.

Farbtupfer im Männerkostüm

Kulturgeschichtlich ist die Krawatte ein Überbleibsel der Barockzeit, der Name verweist auf das Herkunftsland Kroatien. Im 17. Jahrhundert übernahm zunächst der französische Adel die damals noch eher einem Halstuch ähnelnde Krawatte. Wie auf zahlreichen Gemälden vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert dokumentiert, pflegten sich wohlhabende Männer – insbesondere im Adel – ehedem ebenso farbenfroh und modisch zu kleiden wie Frauen. Mit der Französischen Revolution und dem Aufstieg des Bürgertums geriet pfauenartige Herrenkleidung außer Mode, als einziger Farbtupfer im Männerkostüm verblieb die Krawatte. 

«Die Krawatte war beim dreiteiligen Herrenanzug seit der Zeit um 1700 integraler Bestandteil, denn die Hemden hatten in dieser Zeit keine Kragen. Folglich wurde der Hals mit der Krawatte bedeckt», sagt die Historikerin Adelheid Rasche, Fachfrau für die Geschichte der Bekleidung am Germanische Nationalmuseum in Nürnberg. «Auch der im frühen 19. Jahrhundert entwickelte Anzug nach englischem Stil wurde immer mit Hemd und Krawatte kombiniert. Entsprechend trug jeder Herr in einer gewissen Position beruflich wie privat Krawatte.»

Funktionsloses Kleidungsstück

Eine Besonderheit der Krawatte ist auch, dass sie in der seit Jahrzehnten üblichen Form keinerlei praktischen Nutzen mehr hat, auch wenn manche Befürworter argumentieren, dass sie füllige Bäuche kaschiere. Doch weder wärmen Schlipse ihre Träger, noch verhüllen sie nicht für den öffentlichen Anblick bestimmte Körperteile; eine Krawatte schützt auch nicht die Haut oder andere Kleidungsstücke. 

«So ganz funktionslos war die Krawatte ursprünglich nicht, sagt Rasche. «Sie war um 1700 ein Halstuch aus feinem Leinen, das in gewisser Weise geschlungen oder geknotet wurde. Leinen konnte gewaschen werden, somit diente das Krawatten-Tuch in gewisser Weise der Körperhygiene. Die Krawatte bedeckte und schützte außerdem den Halsbereich.»

Selbst in Banken und Versicherungen wird häufiger verzichtet

Hätte die Krawatte ihre praktische Funktion behalten, wäre es heute jedenfalls schwieriger, auf sie zu verzichten. Zu den letzten Bastionen zählen Banken und Versicherungen, doch auch in der konservativen Finanzbranche greift die Krawattenlosigkeit um sich. Ehedem gab es sowohl in vielen Sparkassen als auch bei der bayerischen Landesbank Empfehlungen für Azubis und neue Mitarbeiter, wie ein Sprecher der Bayern LB in München berichtet. Im Jahr 2020 jedoch schaffte der Landesbank-Vorstand unter dem Motto «Come as you are» den Kodex ab. Seither ist die Zahl der Krawattenträger in der BayernLB stark zurückgegangen. 

Und sogar bei der 1880 gegründeten Munich Re – einer der feinsten und traditionsreichsten Adressen der europäischen Versicherungsbranche – wird Vorstandschef Joachim Wenning ab und an ohne Krawatte gesichtet.  «Kollegen, einschließlich des Vorstands, handhaben es heute individuell und situationsabhängig, und damit eben auch mal mit und mal ohne „Binder“», sagt ein Sprecher des Dax-Konzerns.

Von Carsten Hoefer, dpa