Fast zehn Jahre ist er im bundespolitischen Berlin nicht in Erscheinung getreten – jetzt saß Karl-Theodor zu Guttenberg wieder im Bundestag, doch auf einem ungewöhnlichen Platz.
Im Untersuchungsausschuss zum Mega-Bilanzskandal bei Wirecard wurde der Ex-Minister am Donnerstag stundenlang als Zeuge «gegrillt». Warum hat er für das deutsche Fin-Tech lobbyiert? Wie viel Geld bekam er für seine Beratungsleistungen? Und was genau besprach er mit der Kanzlerin? Das wollten die Abgeordneten wissen. Von Guttenberg bekamen sie vor allem eines: eine ziemlich empörte Rechtfertigung.
Guttenberg sieht sich, wie so viele andere, im Fall Wirecard vor allem als Opfer. «Einen derartigen Betrug konnte man als Geschäftspartner – trotz gewisser Mutmaßungen in der britischen „Financial Times“ – nicht erahnen», betonte er. «Hätten wir gewusst, dass das Geschäftsmodell von Wirecard offenbar auf Betrug basiert, hätten wir dieses Dax-Unternehmen niemals beraten.» Die Vorwürfe gegen ihn und sein Team entbehrten jeder Grundlage. «Schließlich trage ich Verantwortung für ein Beratungsunternehmen und nicht für die Bafin oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.»
Der 49-Jährige hat sich verändert seit seiner Zeit als Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister. Statt der früher oft glatt nach hinten gegelten Haare trägt er einen Drei-Tage-Bart, der ihn etwas abgewetzt aussehen lässt. Doch den Politik-Profi merkt man ihm nach wie vor an: Guttenberg tritt extrem sicher auf, ist gut vorbereitet, wirkt höchstens aufgebracht, weil er sich und seine Firma in der Öffentlichkeit falsch dargestellt sieht.
Tatsächlich war Guttenberg mit seiner Beratungs- und Beteiligungsfirma Spitzberg Partners vor der Insolvenz für Wirecard tätig. Sie unterstützten den Markteintritt des Fin-Techs in den USA und Kanada, vermittelten Partnerschaften in der Industrie. Als Wirecard seine Fühler nach China ausstrecken wollte, wies Guttenberg im September 2019 Kanzlerin Angela Merkel auf das Unternehmen hin.
Der Eintritt in den chinesischen Markt gelinge selten ohne politische Begleitung, sagte Guttenberg. Hätte er Wirecard nicht voll vertraut, hätte er das Unternehmen bei dem Treffen aber nie angesprochen. Sein Verhältnis zur Kanzlerin würde er «niemals für einen Klienten aufs Spiel setzen». Merkel habe nicht sofort ihre Unterstützung für Wirecard zugesagt, sondern auf Fachleute verwiesen. Als sie wenige Tage später nach China reiste, machte sich die Kanzlerin dann für das deutsche Fin-Tech stark.
Das sei jedoch alles ganz normale Praxis gewesen, betonte Guttenberg im Ausschuss. Tatsächlich nimmt Merkel immer wieder sogar Wirtschaftsdelegationen auf ihre Reisen mit. Nach dem damaligen Kenntnisstand sei die Unterstützung der Kanzlerin richtig gewesen, sagte der Ex-Minister.
Im Herbst 2019 hatten manche allerdings längst Zweifel an der Integrität des Skandalunternehmens, ausgedrückt etwa durch Medienberichte. In Sommer 2020 wurde klar: Der inzwischen insolvente frühere Dax-Konzern hat möglicherweise über Jahre Scheingewinne ausgewiesen. Wirecard räumte Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein. Laut Staatsanwaltschaft könnte es insgesamt sogar um rund drei Milliarden gehen. Die Firma saß als Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen und machte nach aktuellem Ermittlungsstand jahrelang Verluste.
Guttenberg versicherte, weder seine Firma noch er selbst hätten zu irgendeinem Zeitpunkt von Diskrepanzen in der Bilanzierung, von Geldwäsche oder anderen Straftaten gewusst. Stattdessen habe man sich auf die offiziellen Bewertungen des Unternehmens und die staatlichen Prüfstellen verlassen. Natürlich habe man Wirecard mit den Vorwürfen aus den Medien konfrontiert, diese seien aber stets plausibel zurückgewiesen worden. «Wirecards gründlich wirkende Art und Weise» habe Spitzberg Partners nicht an der Glaubwürdigkeit des Unternehmens zweifeln lassen. Im Nachhinein klinge Vieles wie bittere Ironie.
Guttenberg traf sich auch mit Wirecard-Chef Markus Braun, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt. Die vier Zusammentreffen seien recht bizarr gewesen, das erste ein «entrücktes Gespräch», berichtete Guttenberg. Aus dem Nichts habe Braun ihm das Du angeboten. «Was für ein seltsames, nicht unsympathisches, aber ungewöhnliches Gespräch», erinnerte sich der frühere Minister.
Zum letzten Mal sah Guttenberg den Wirecard-Chef Anfang Juni dieses Jahres, als das Unternehmen bereits schwer unter Druck stand. Er sei auf einen «komplett gut gelaunten CEO» getroffen, berichtete er. Braun habe einen «unerschütterlichen Optimismus» ausgestrahlt. «Ich habe mir oft die Frage gestellt: Waren wir zu gutgläubig? Nein, wir wurden arglistig getäuscht.»