Es soll wirken wie eine Art Pranger: Große Konzerne in der Europäischen Union müssen voraussichtlich ab 2023 öffentlich machen, wie viel Steuern sie in jedem Staat zahlen.
Von diesen neuen Regeln, auf die sich Vertreter der EU-Institutionen jetzt nach fünf Jahren Streit geeinigt haben, erhoffen sich Befürworter einen echten Fortschritt gegen gewitzte Steuersparmodelle mancher Firmen. Aber wie viel dieses öffentliche «Country-by-Country-Reporting» wirklich bringt, ist umstritten. Wirtschaftsvertreter sind ohnehin entsetzt.
In der EU hat Portugal, das derzeit den Vorsitz der 27 Staaten führt, den Knoten für das seit 2016 debattierte Projekt durchschlagen. Erst organisierte das Land eine Mehrheit im EU-Ministerrat – übrigens ohne Deutschland, wo sich Finanz- und Wirtschaftsministerium nicht einig sind. Und am Dienstagabend schaffte Portugal dann auch die Einigung mit Vertretern des Europaparlaments.
EU verliert jährlich mehr als 50 Milliarden Euro
Wirtschaftsminister Pedro Siza Vieira erinnerte anschließend noch einmal an die beiden Hauptargumente für die neuen Regeln: Schätzungen zufolge verlören die EU-Staaten durch Steuervermeidung großer Firmen jährlich mehr als 50 Milliarden Euro. Und gerade jetzt, nach der schweren Pandemie-Krise, gelte: «Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass alle wirtschaftlichen Akteure ihren fairen Anteil zur wirtschaftlichen Erholung beitragen.»
Das Rezept lautet nun also: Multinationale Unternehmen mit weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz müssen nicht nur den Finanzämtern, sondern auch der Öffentlichkeit Einblick geben. In einem länderbezogenen Bericht sollen sie unter anderem die Nettoumsätze, Gewinn vor Steuern und die tatsächlich gezahlten Ertragssteuern veröffentlichen. Auch Mitarbeiterzahl und Tochterfirmen sollen transparent werden. Die Daten sollen für alle EU-Staaten aufgeschlüsselt werden, ebenso für die Staaten auf der «schwarzen» und der «grauen» EU-Liste der Steueroasen.
Neue Regel soll mehr Transparenz schaffen
Das würde Einblick geben, wie Steuersparmodelle funktionieren. Einige große Unternehmen nutzen Ableger und komplizierte Firmengeflechte, um Gewinne in Länder mit möglichst niedrigen Steuersätzen zu verschieben und so Steuern zu vermeiden. Das geschieht innerhalb der EU, aber auch weltweit.
An dieser Stelle haken die Kritiker ein. So beklagt unter anderen die Organisation Transparency International, dass die neuen EU-Vorgaben eben nicht weltweit gelten, sondern nur für EU-Länder und die von der EU benannten Steueroasen. Das lasse zu viele Schlupflöcher und mache das öffentliche Country-by-Country-Reporting letztlich zahnlos. Die Entwicklungsorganisation Oxfam argumentiert ähnlich. Der Tenor lautet: Nehmt die Wirtschaft endlich härter ran.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie argumentiert aus der Gegenrichtung. Die Einigung über die «öffentliche Preisgabe sensibler Unternehmensdaten ist ein harter Schlag für den Wirtschaftsstandort Europa», sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Mittwoch. Nun drohten erhebliche Wettbewerbsnachteile. Denn Einblicke in betriebswirtschaftliche und steuerliche Daten ließen Rückschlüsse auf Kostenstrukturen, Preispolitik und Gewinnmargen zu.
Nach früheren Angaben des BDI sind 1200 deutsche Unternehmen betroffen. Appelle des Verbands an die Bundesregierung, die Regelung zu verhindern, fruchteten allerdings nicht. Mangels Einigkeit enthielt sich Deutschland im Frühjahr im Ministerrat.
CSU-Finanzfachmann Markus Ferber sieht in den neuen EU-Regeln sehr wohl einen «kleinen Schritt zu mehr Steuertransparenz», warnt aber vor zu hohen Erwartungen. «Der Mehrwert dieser Richtlinie wird überschaubar bleiben.» Das eigentliche Problem liege ja woanders, nämlich im Wettbewerb der Staaten um niedrige Steuersätze. «Ein gemeinsames grundlegendes Verständnis über den europäischen Ansatz in der Körperschaftssteuer wäre ein deutlich wirksameres Instrument als ein öffentlicher Pranger», meint Ferber.
«Scharfes Schwert gegen Steuervermeidung»
Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold hält dagegen. Die neuen Country-by-Country-Regeln seien «ein scharfes Schwert gegen Steuervermeidung», freute er sich am Dienstagabend nach der Einigung: «Wenn große Unternehmen ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Geschäftsland offenlegen müssen, wird Steuerdumping jedes Jahr für alle sichtbar.» Das werde dem Ruf der Unternehmen schaden. Dass die Regeln nicht weltweit gültig seien und das Ganze nur ein erster Schritt sei, ja, das seien Wermutstropfen. «Dennoch: Europa ist immer Kompromiss und dieser Kompromiss ist einer der guten Sorte.»
Das sah Bundesfinanzminister Olaf Scholz genauso. «Das ist ein Riesenschritt für mehr Steuergerechtigkeit», sagte der SPD-Kanzlerkandidat am Mittwoch in Berlin. Den Streit mit seinem Kabinettskollegen Peter Altmaier (CDU) wollte Scholz im Wahlkampf auch nicht unter den Tisch fallen lassen: Er habe kein Verständnis dafür, «wenn der Kampf für mehr Steuertransparenz weiterhin vom Bundeswirtschaftsministerium blockiert wird».
Die Einigung von Unterhändlern der EU-Institutionen muss von diesen noch formal bestätigt werden, erst dann können sie in Kraft treten und binnen 18 Monaten umgesetzt werden.