Zwei Wochen vor dem endgültigen Austritt Großbritanniens aus den EU-Institutionen ist bereits der Druck an der wichtigen Handelsroute über den Ärmelkanal zu spüren. Auf Twitter kursierten Ende der Woche Videoaufnahmen von langen Lkw-Staus an der Zufahrt zum Eurotunnel im englischen Folkestone.
Ein hohes Aufkommen an Frachtverkehr werde in beide Richtungen bis Weihnachten und dann wieder kurz vor Neujahr erwartet, teilte ein Sprecher der Eurotunnel-Betreiberfirma Getlink auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Freitag mit. Gründe dafür seien das Weihnachtsgeschäft, medizinische Lieferungen wegen der Coronavirus-Pandemie und die Aufstockung vieler Bestände vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase.
Zusätzliche Lagerkapazität in dem Land zu bekommen, ist inzwischen so gut wie unmöglich. «Alles ist voll», sagte der Chef des britischen Logistikverbandes UK Warehousing Association, Peter Ward, der dpa. Zu den Mitgliedern des Verbandes gehören Logistikriesen wie Kühne und Nagel oder DHL, aber auch viele kleinere und mittlere Firmen. Viele Unternehmen – etwa aus dem Automobilsektor – hätten bereits lange vor Ende der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel Waren aus Europa eingelagert, so Ward.
Verantwortlich sei aber auch die Pandemie: Während des Teil-Lockdowns im November mussten in England auch nicht-essenzielle Geschäfte schließen – deren nicht-verkaufte Waren blockieren weiterhin viel Stauraum. Außerdem seien rund 300 000 Quadratmeter – etwa 2,5 Prozent der Gesamtkapazitäten – mit Corona-Schutzausrüstung wie Masken oder medizinischem Zubehör ausgefüllt, so Ward. Unternehmen, die sich erst kurzfristig vor dem Jahreswechsel auf die Suche nach Lagerflächen begeben, machte der Vertreter der Lager- und Logistikbranche keine großen Hoffnungen: «Es ist höchstwahrscheinlich zu spät.»
Die Häfen in Großbritannien sind bereits seit Wochen überlastet. Einige Schiffe mussten bereits abgewiesen werden. Auch das führe zu mehr Verkehr am Eurotunnel, da Containerschiffe teilweise an Häfen auf dem Kontinent entladen würden und die Ware dann mit dem Lastwagen nach Großbritannien gebracht werde, sagte der Getlink-Sprecher.
Sollte bis Jahresende keine Einigung zwischen London und Brüssel bei den Gesprächen über einen Brexit-Handelspakt gelingen, drohen Zölle und andere Handelshemmnisse zwischen Großbritannien und der EU. Für diesen Fall wird mit zusätzlichen schweren Verzögerungen im Warenverkehr am Ärmelkanal gerechnet.