Nach jahrelangen Auseinandersetzungen ist ein breiter Konsens für einen Umbau der Landwirtschaft hin zu mehr Umwelt- und Tierschutz da – die Umsetzung wird aber Sache der neuen Regierung.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm am Dienstag Empfehlungen einer Expertenkommission entgegen, der Vertreter von Ernährungsbranche und Bauern, Natur- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft angehörten. Die einstimmig gefassten Vorschläge zeigten «mögliche Wege für die Landwirtschaft der Zukunft» auf, sagte Merkel. Dafür hoffen die Beteiligten, jetzt bleibende Pflöcke eingeschlagen zu haben. Folgen haben soll das auch für Billigpreise im Supermarkt.
Dass es nach so vielen gegenseitigen Attacken überhaupt zu einer Art Agrarfrieden kam, verbuchten alle als Erfolg. Es sei «ein bedeutsamer Tag» in der Geschichte der Landwirtschaft für Deutschland, sagte die Kanzlerin. Den Anstoß für die Kommission hatte sie Ende 2019 gegeben, als empörte Bauern mit Traktoren in die Städte rollten – um gegen neue Auflagen und überhaupt für mehr Wertschätzung zu demonstrieren. Das Gremium habe gezeigt, dass der Spruch «Wenn Du nicht weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis» zu etwas Gutem führen könne, sagte Merkel. Denn angesichts der Spannungen zwischen den Beteiligten, sage sie offen: «Da wusste ich wirklich nicht weiter.»
Dass die Empfehlungen kurz vor der Bundestagswahl in ein politisches Vakuum fallen, ist aber auch allen klar. «Es war schon ziemlich spät in der Legislaturperiode, als uns das endlich einfiel», formulierte es die seit 15 Jahren amtierende Kanzlerin. Und fügte als Erwartung hinzu: «Jetzt haben wir einen schönen Packen für alle, die potenziell regierungsfähig sein werden – die kommen an diesem Bericht nicht mehr vorbei.» Bauernverbands-Vize Werner Schwarz hielt fest, das könne die Politik nicht einfach ausblenden, egal wer zukünftig regiere. Auch Grünen-Experte Friedrich Ostendorff sprach aber von einem starken Signal. «Hinter diese Einigung dürfen wir nicht mehr zurückfallen.»
Konkret geht es um nicht weniger als einen weitreichenden Umbau des Agrar- und Ernährungssystems als «gesamtgesellschaftliche Aufgabe». Die Kommission empfiehlt als Grundsatz eine Steigerung der positiven und eine Verringerung negativer Effekte der Lebensmittelherstellung, wie der Vorsitzende Peter Strohschneider sagte. Und die notwendige Transformation werde auch mehr kosten, als in öffentlichen Haushalten national und europäisch bisher vorgesehen sei. Geschätzt dürften sieben Milliarden bis elf Milliarden Euro an Zusatzkosten pro Jahr fällig werden, heißt es im Bericht: etwa für mehr Ökolandbau, einen teilweisen Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, zum Umbau von Ställen.
Neben einer schrittweisen Bindung der europäischen Agrarmilliarden an Umweltvorgaben rückt dabei auch der Verbraucheralltag in den Blick. Die Mehrkosten einer bei Ökologie und Tierwohl leistungsfähigeren Landwirtschaft müssten zu einem Teil auf den Märkten erwirtschaftet werden. «Das geht nur, wenn die Lebensmittelpreise die tatsächlichen Produktionskosten wieder besser abbilden.» Wettbewerb um Qualität müsse im Vergleich zum bloßen Mengenwettbewerb wichtiger werden. Das zielt auch auf den Dauer-Preiskampf mit Billigangeboten etwa von Fleisch.
Wenn Lebensmittel teurer werden, sei dies für Einkommensschwache aber sozial zu flankieren, etwa durch höhere Sätze für Ernährung bei Sozialleistungen, so die Kommission. Nötig seien auch verständliche Kennzeichnungen, die auf EU-Ebene verbindlich eingeführt werden sollten: für Fleisch aus besserer Tierhaltung, für die Herkunft der Zutaten in verarbeiteten Produkten, zu Mindeststandards für Regionalität sowie zum Gehalt an Fett oder Zucker – wie bei dem auf freiwilliger Basis eingeführten farbigen Nährwertlogo Nutri-Score. Gefördert werden sollten außerdem «nachhaltige», sprich stärker pflanzlich orientierte Ernährungsstile mit weniger Fleisch – auch durch Vorbild in Mensen und Kantinen.
Merkel sprach sich für einen «umfassenden Transformationsprozess» aus, der energisch weitergeführt werden müsse. Dafür müssten aber auch verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, sonst werde sich niemand darauf einlassen. Der Bauernverband hielt die Übereinkunft fest, dass der betriebswirtschaftliche Aspekt immer mit berücksichtigt werde. «Nur wenn auf den Höfen Geld verdient wird,
können wir auch Umweltleistungen erbringen.» Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) betonte, der Wandel müsse eine sichere Zukunft für Landwirte garantieren. «Wir alle müssen essen und trinken.»
Dies bedeute aber auch, dass in der nächsten Wahlperiode im Haushalt mehr Mittel dafür bereitstehen müssten, sagte Klöckner. «Klar ist, dass höhere Standards mehr Geld kosten – das habe ich immer betont.» Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, die Transformation werde am Ende ein finanziell günstigeres System schaffen. Auch Verbraucher seien gefragt, höhere Öko-Standards fair zu honorieren. Eine andere Kommission hat schon eine Tierwohlabgabe als Modell vorgeschlagen – denkbar wären demnach Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch.
Die genauen Instrumente und Fristen seien die Aufgabe der nächsten
Bundesregierung, hieß es vom Deutschen Tierschutzbund. «Da wird es noch Diskussionen im Detail geben», sagte Präsident Thomas Schröder. «Aber die Richtung der Transformation, die ist jetzt geklärt. Es darf kein Zaudern und Bremsen mehr geben.» Der Naturschutzbund (Nabu) hob hervor, die Kommission habe auch die heißen Eisen angefasst. Es gebe einen richtig guten Fahrplan. «Die Politik muss das jetzt umsetzen.»